(Foto: INATECH)

Nachgefragt 15.10.2024

Gute Netze und die richtigen Preisanreize

Vor allem kleine Flexibilitäten im Verteilnetz spielen künftig eine große Rolle. Auch dynamische Netzentgelte sind denkbar. Gute Netze und die richtigen Preisanreize sind die Basis für ein flexibles Stromsystem, betont Anke Weidlich im Interview.

Anke Weidlich ist Professorin für Technologien der Energieverteilung und Mitglied der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring.


Nachgefragt 15.10.2024

Gute Netze und die richtigen Preisanreize

Vor allem kleine Flexibilitäten im Verteilnetz spielen künftig eine große Rolle. Auch dynamische Netzentgelte sind denkbar. Gute Netze und die richtigen Preisanreize sind die Basis für ein flexibles Stromsystem, betont Anke Weidlich im Interview.

(Foto: INATECH)

Anke Weidlich ist Professorin für Technologien der Energieverteilung und Mitglied der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring.



Frau Weidlich, die Energiewende erfordert ein flexibles Stromsystem, dessen Ausgestaltung gerade diskutiert wird. Wo und wie wird es denn flexibler zugehen?

Die große Zahl von kleinen Flexibilitäten im Verteilnetz wird zukünftig sichtbarer werden. Es geht vor allem um den Betrieb von Wärmepumpen, Ladesäulen und Batteriespeichern. Letztere erleben einen Boom und werden als Heimspeicher vor allem gekauft, um den Eigenstromverbrauch zu maximieren. Insgesamt können diese kleinen flexiblen Verbraucher einen großen Teil der notwendigen Flexibilität beisteuern. In der Industrie gibt es zwar auch viel Flexibilitätspotenzial, aber wenn man genauer hinschaut, ist dessen Aktivierung für das Energiesystem oftmals nicht wirtschaftlich machbar. Es gibt Branchen, die ihren Stromverbrauch gut anpassen können, und andere, wo die Produktion kaum Spielräume für Lastflexibilität lässt. Die kleinen Flexibilitäten sind der interessantere Punkt, aber auch größere Speicher sind im Kommen, da die Batteriepreise stetig sinken.

Sind diese Flexibilitäten auch mit vertretbarem Aufwand nutzbar?

Es handelt sich ohnehin vorwiegend um automatisch gesteuerte Anlagen. Im Idealfall würde man gar nicht bemerken, dass sie sich am Strompreis orientieren. Beispiel Batteriespeichernutzung: die Steuerung derzeit erfüllt in der Regel das Ziel, den Eigenverbrauch zu maximieren und orientiert sich nicht am Zustand des Energiesystems. Wenn sich das zum Beispiel mit dynamischen Tarifen ändert, wird die Batterie geladen, wenn eine Erzeugungsspitze die Preise drückt. Auch die Wärmepumpe kann sich an einem dynamischen Preissignal orientieren. Natürlich gibt es im Winter Phasen, in denen Wärmepumpen ohne Unterbrechung rund um die Uhr laufen und deshalb nur wenig Verbrauch in andere Zeitabschnitte verschieben können.

Können die Flexibilitätspotenziale von Elektrofahrzeugen in ähnlicher Weise gehoben werden?

Hier hat man am meisten Interaktion mit dem Nutzer bzw. Kunden. Man muss wissen, wie lange kann das Auto am Ladepunkt stehen, wann soll es voll geladen sein bzw. für wie viele Streckenkilometer? Diese Interaktion wird über Apps laufen – der Nutzer macht Angaben zu seinen Plänen und kann dann Preisvorteile realisieren. Wir sind schon mittendrin in dieser Entwicklung. Nur gibt es momentan noch keine ausreichenden Anreize für einen Betrieb, der für das Energiesystem insgesamt nützlich ist. Dynamische Tarife, sofern sie genutzt werden, bilden derzeit in der Regel nur den stündlichen Preis der Strombörse ab. Idealerweise sollten aber auch Netzengpässe berücksichtigt werden und sich im Preissignal niederschlagen. Hierfür gibt es derzeit noch kein Gesamtkonzept in der Energiewirtschaft. Dynamische Netzentgelte könnten ein wichtiger Hebel für eine Weiterentwicklung sein.

Für die beschriebenen Mechanismen werden dynamische Tarife gebraucht und Smart Meter. Was ist Ihre Einschätzung, wie lange wird es dauern, bis das alles in der Breite wirken kann?

Für den Smart Meter Rollout gilt ein Fahrplan. Bis 2030 müssen 95 Prozent der sogenannten Pflichteinbaufälle mit einem Smart Meter ausgestattet sein. Das sind Verbraucher mit mehr als 6.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch, aber auch solche mit einer größeren Solaranlage. Parallel wirkt der §14a des Energiewirtschaftsgesetzes. Wärmepumpen, Batterien und Ladestationen müssen die Dimmung durch den Netzbetreiber ermöglichen, falls Netzengpässe auftreten. Dafür müssen sie steuerbar sein und ebenfalls über einen Smart Meter verfügen. Über diese Wege wird die Ausstattung mit Smart Metern bei den relevanten Verbrauchern weiter voranschreiten. Dynamische Tarifangebote seitens der Stromanbieter gibt es bereits einige, ab 2025 muss jeder Stromanbieter einen solchen Tarif anbieten.

Reichen die genannten Optionen aus, um die Stromnetze auch in Zukunft sicher zu betreiben?

Trotz aller Konzepte, wie man das Netz besser auslasten kann, ist der Netzausbau erforderlich. Es müssen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Netze zügig ausgebaut werden können und genug Kapital dafür zur Verfügung steht. Aber am Ende braucht man beides: gute Netze und Preisanreize für eine bessere Auslastung. Um die Preisanreize zu realisieren, brauchen wir die intelligenten Steuerungen. Mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung sind dafür die Weichen richtig gestellt. Was aber außerdem wichtig ist, sind räumlich aufgelöste Strompreissignale. Ansonsten können dynamische Tarife, die nur auf den bundesweit einheitlichen Strompreisen basieren, Netzengpässe sogar verschärfen, was dann mit zusätzlichen Maßnahmen teuer korrigiert werden muss, Stichwort Redispatch.

Es sieht so aus, als wolle die Bundesregierung an der einheitlichen Strompreiszone in Deutschland festhalten. Welche Alternativen für räumlich aufgelöste Preissignale sind denkbar?

Man könnte zum Beispiel die Netzentgelte dynamisieren. Allerdings spricht man damit nur die Verbraucher an, denn nur sie zahlen Netzentgelte. Bei der Einspeisung werden keine Netzentgelte fällig und auch Batteriespeicher sind derzeit von Netzentgelten befreit. Aber Wärmepumpen, Ladestationen und auch zukünftig Elektrolyseure oder andere große Stromverbraucher könnten bei Netzengpässen regional unterschiedliche Preissignale erhalten, um das Netz zu entlasten. Wir haben in gewisser Weise gerade ein Gelegenheitsfenster: Die Bundesnetzagentur will die Netzentgeltprivilegierung für die Industrie überarbeiten, denn sie passt nicht mehr zur neuen Energiewelt, in der wir uns bereits befinden. Parallel dazu hat sie eine Diskussion um faire Verteilnetzentgelte für Verbraucher begonnen, denn momentan sind diese Entgelte dort am höchsten, wo die Erneuerbaren stark ausgebaut werden, insbesondere in Nordostdeutschland. Auch das passt nicht zu dem, was wir brauchen, nämlich günstige Strompreise dort, wo viel Strom eingespeist wird. Es wird an verschiedenen Änderungen gearbeitet – vielleicht ist es Zeit, die Dinge kombiniert zu betrachten und einen großen Wurf zu wagen.

Wo sehen Sie weitere Hausaufgaben der Politik?

Ganz generell wie schon genannt beim Thema Regionalisierung von Strompreisen, sowohl räumlich als auch zeitlich. Außerdem ist ein zentrales Thema, wie Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren gefördert werden sollen. Da hat die Bundesregierung kürzlich mehrere Vorschläge vorgestellt und muss sich nun für eine der Optionen entscheiden. Zusätzlich müssen für neue Lasten die Hebel so gestellt werden, dass beispielsweise Elektrolyseure dort errichtet werden, wo sie wirtschaftlich und netzdienlich zugleich laufen. Ähnliches gilt übrigens auch für die steuerbaren Kraftwerke, die wir weiterhin benötigen und die an den richtigen Stellen im Netz gebaut werden müssen.

Welche Denkmuster oder Traditionen müssen wir überwinden?

Die Politik muss noch viel stärker das Augenmerk darauf richten, dass niedrige Strompreise im Verhältnis zu anderen Energieträgern enorm wichtig sind. Die Strompreise in Deutschland sind hoch, weil sie mit vielen Umlagen belastet sind. Bei der anstehenden Elektrifizierung vieler Prozesse ist das hinderlich, und die Politik hat diesen Aspekt noch nicht wirklich auf die Agenda gesetzt. Wenn gesagt wird, setzt auf Strom, dann seid ihr auf der richtigen Seite, dann muss man auch die entsprechenden Signale in Bezug auf Preise senden.

Wie kompliziert wird es für die Verbraucherinnen und Verbraucher, müssen sie die Strompreise ständig im Blick haben?

Man wird sich nicht ständig mit dem Strom-Thema beschäftigen müssen. Vieles wird durch automatisierte Prozesse geregelt. Wenn allerdings die Regeln zur Dynamisierung und Elektrifizierung nicht gut gemacht werden, besteht die Gefahr, dass die smarten Kunden sich im Verhältnis weniger an den Kosten des Systems, vor allem des Netzes, beteiligen und die Last auf den verbleibenden Konsumenten ruht. Das ist eine gar nicht so einfache Aufgabe: auf der einen Seite Anreize setzen, aber gleichzeitig Stromverbraucher, die wenig Flexibilität haben, nicht zu sehr belasten. Dass in Zukunft alles einfacher wird und wir bald Strom-Flatrates haben, wie einige es prophezeien, sehe ich übrigens nicht. Es wird weiterhin von Bedeutung sein, zu welcher Zeit wir wo Strom nutzen, und Flatrates blenden diesen Aspekt aus.

Wenn wir den Blick nach Europa weiten, welche Impulse sehen Sie da?

Vor allem in den nordischen Ländern, wo es über längere Zeiträume viel kälter ist als bei uns, werden viel mehr Wärmepumpen installiert. Auch in den Niederlanden, einem traditionellen Gas-Land, zeigt sich der Trend. Im Gegensatz dazu erscheinen die Diskussionen in Deutschland absurd, ob man ein Bestandsgebäude überhaupt mit einer Wärmepumpe heizen kann. Ich sehe die Gefahr, dass wir auf weniger klimaschonende Technologien setzen. Die direkte Elektrifizierung sollte Priorität haben, doch die Anreize in diese Richtung sind derzeit nicht ausreichend. Dass Gas im Verhältnis zum Strom so wenig kostet, wirkt kontraproduktiv. Schweden beispielsweise hat bereits früh Erdgas über die CO2-Steuer zu einem teuren Energieträger gemacht. Dort haben Wärmepumpen heute nach Norwegen und Finnland den dritthöchsten Marktanteil in Europa.

Das Gespräch führte Petra Franke.

Anke Weidlich ist Mitglied der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring und Inhaberin der Professur für Technologien der Energieverteilung am Institut für Nachhaltige Technische Systeme (INATECH) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie forscht insbesondere zu den Themen Energiesysteme, Strommärkte, Systemintegration, Flexibilität und Smart Grids.

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

max 2.000 Zeichen