Erneuerbarer EnergiemarktVariable Netzentgelte für stromintensive Industrie

Glasherstellung, durch Hitze rot gefärbte Flaschen im Produktionsprozess
Die Glas- und Keramikindustrie gehört zu den Branchen, die viel Strom benötigen.  Sie sollen zukünftig belohnt werden, wenn sie ihren Strombezug netzdienlich ausrichten. (Foto: Verallia Deutschland AG auf Wikimedia / CC BY-SA 4.0)

Im erneuerbaren Energiesystem muss die Industrie ihren Strombedarf, dort wo es geht, der Erzeugung anpassen. Dafür schlägt die Bundesnetzagentur jetzt ein Anreizsystem mit einer Netzentgeltprivilegierung für flexible Verbräuche vor.

25.07.2024 – In einem Eckpunktepapier skizziert die Bundesnetzagentur veränderte Regeln zu den Netzentgelten für stromintensive Unternehmen. Bis 18.9.2024 läuft nun ein Konsultationsverfahren mit der Industrie, Anfang Januar 2025 sollen die neuen Regeln in Kraft treten.

Mit den neuen Regeln sollen die Unternehmen zu einem systemdienlichen Verbrauchsverhalten bewegt werden, denn „die alten Netzentgeltrabatte entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist“, wie Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur erklärt. Damit wird so etwas wie eine Zeitenwende eingeläutet – der Übergang von einem starren in ein flexibles System.

Schwankende Börsenstrompreise über Netzentgelten widerspiegeln

Die Bundesnetzagentur schlägt eine Regelung vor, die für stromintensive Betriebe einen Anreiz schafft, dynamisch auf die aktuelle Erzeugungssituation zu reagieren, die sich in erster Linie in den Strombörsenpreisen widerspiegelt.

Im Grundsatz ist vorgesehen, dieses Marktsignal zu stärken durch preislich angepasste Netzentgelte. Eine Netzentgeltprivilegierung soll grundsätzlich erhalten, wer in Zeiträumen besonders niedriger Preise seine Abnahme im Vergleich zu seinem individuellen Jahresdurchschnitt erheblich erhöht und in Zeiten besonders hoher Preise seine Abnahme im Vergleich zu seinem individuellen Jahresdurchschnitt erheblich senkt.

Die genaue Austarierung des Anreizmechanismus hängt von den technischen Möglichkeiten der Industrie ab, Mengen- und Preisentwicklungen zu prognostizieren und flexibel darauf zu reagieren. Dabei soll keine Überforderung der Letztverbraucher erfolgen, sondern das tatsächlich vorhandene und künftig erreichbare Flexibilitätspotential realisiert werden.

Regionale Ausnahmen und Übergangsregelungen

In Regionen mit einer geringen dezentralen Einspeisung aus Erneuerbaren entstehen Engpässe eher lastbedingt. Hier können Reaktionen auf das Marktsignal mitunter auch engpassverschärfend wirken. Insofern möchte die Bundesnetzagentur diskutieren, ob und wie regionale Ausnahmen geschaffen werden können, bis der Netzausbau einen Stand erreicht, der eine Stärkung des Marktsignals bundesweit ermöglicht.

Bestehende Vereinbarungen über individuelle Netzentgelte sollen nicht unmittelbar ihre Wirkung verlieren. Es ist vorgesehen, den Unternehmen Übergangsfristen zu gewähren, die eine Umstellung der Produktion und die Realisierung von Flexibilitätspotentialen ermöglichen.

Bisherige Netzentgeltprivilegierung für Industrie und Gewerbe

Auch bisher zahlen Unternehmen in Deutschland geringere Netzentgelte, wenn ihr Stromverbrauch bestimmten Mustern folgt. Im Wesentlichen werden momentan zwei Verhaltensweisen gefördert: Unternehmen können dabei helfen, die jährliche Spitzenlast im Netz zu verringern, indem sie ihren eigenen Höchstverbrauch in Zeiten mit allgemein geringerem Verbrauch legen (atypischer Strombezug). Oder sie stellen einen Grundlastverbrauch sicher, weil sie sehr konstant über Jahres- und Tageszeiten hinweg Strom beziehen (Bandlastlieferung).

Für ein Stromsystem, das mit Kohle- und Atomkraftwerken auf konstanter Stromerzeugung basierte, waren diese Verbrauchsmuster förderlich. Mit dem fortschreitenden Ausbau der erneuerbaren Energien hat sich der Fokus jedoch verändert: Wie viel Strom vorhanden ist, hängt schon heute stark vom Wetter ab und die Tendenz wird sich noch verstärken. Die Flexibilisierung des Stromsystems steht an.

Besonders der Vorschlag zur Abschaffung der reduzierten Netzentgelte für die Bandlastlieferung wird von Experten befürwortet. Als „zentrales Hemmnis für Flexibilitäten“ ordnet sie Felix Matthes vom Öko-Institut Berlin ein.  Unflexibles Abnahmeverhalten ist gesamtökonomisch zunehmend nachteilhaft. Dass die Bundesnetzagentur die Börsenpreise für Strom in den Netz-Entgelten widerspiegeln will, ist für Matthes eine erfreuliche Nachricht und „ein Einstieg in eine Reform, die dringend notwendig ist.“ Die Dynamisierung der Netznutzungsentgelte sollte seiner Meinung nach langfristig nicht nur für die Industrie, sondern für alle Verbraucher umgesetzt werden.

Durch die Sondernetzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV erzielen im Jahr 2024 rund 400 Bandlastkunden und rund 4200 atypische Netznutzer in Zuständigkeit der Bundesnetzagentur insgesamt Netzentgeltreduzierungen von über 1 Milliarde Euro. Die den Netzbetreibern in der Folge entgehenden Erlöse werden durch eine Umlage an alle Netznutzer gewälzt. Diese beträgt im laufenden Jahr 0,643 ct/kWh.

Auch die Effektivität einer Privilegierung einer atypischen Netznutzung hat sich laut Bundesnetzagentur in Netzen mit einer hohen Durchdringung an erneuerbaren Energien stark geschmälert. Zusätzlicher Netzausbau wird hier nicht primär durch die Last-, sondern durch die Einspeiseseite verursacht. Dementsprechend führen Verlagerungen der individuellen Jahreshöchstlast hier nicht zu Kosteneinsparungen. pf

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