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WasserstoffhochlaufPioniergeist und langer Atem gefragt

Wasserstoff-Elektrolyse
Der Stoff, aus dem die neuen Energieträume sind. (Foto: Hanno Böck, CC0, via Wikimedia Commons)

Der BDEW plädiert für mehr Pioniergeist beim Markthochlauf von grünem Wasserstoff und mahnt gleichzeitig einen langen Atem an. Als unabdingbar sieht der Verband ein europäisches Marktdesign und legte hierfür Vorschläge vor.

05.07.2023 – Angesichts der kontroversen Diskussionen über die künftige Wasserstoffanwendung im Wärmebereich sowie des Schneckentempos beim Markthochlauf, bricht der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) eine Lanze für das „grüne“ Molekül. „Für uns ist Wasserstoff mehr als die Transformation von Gas. Wasserstoff ist eine neue und eigenständige Säule des Energiesystems“, unterstrich BDEW-Chefin Kerstin Andreae bei einem Pressegespräch am Dienstag in Berlin. In einem klimaneutralen Energiesystem sei Wasserstoff in Teilen von Industrie, Verkehr sowie der Strom- und Wärmeversorgung unverzichtbar.

Zentraler Brennstoff für steuerbare Erzeugung

So sei grüner Wasserstoff künftig der zentrale Brennstoff für steuerbare Erzeugungskapazitäten. Dies gelte insbesondere zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme, womöglich auch zur Deckung der Residuallast bei der Stromerzeugung sowie in Ergänzung zu (Groß)Wärmepumpen bei der gesicherten (Fern)Wärmeversorgung durch hocheffiziente KWK-Anlagen. Wasserstoffspeicher, wasserstofffähige Kraftwerke und Elektrolyseleistung seien grundsätzlich systemdienlich einsetzbar, betont der BDEW.

Schnittstellenfunktion und Ingenieurskunst „Made in Germany“

Wasserstoff habe eine Scharnier- und Schnittstellenfunktion und könne damit auf die Sektorenkopplung und netzdienliche Verschränkung von Strom- und Molekültransport einzahlen und Bestandteil der stofflichen energetischen Versorgung von Industrieclustern sein. In der Luftfahrt, im Schiffs- und Schwerlastverkehr würden Wasserstoff und Wasserstoffderivate außerdem eine wichtige Rolle in einem klimaneutralen Energiesystem spielen. Allesamt Chancen, auch für Ingenieurskunst und Produkte „Made in Germany“, sowie entsprechend hochqualifizierte Arbeitsplätze.

Lange Liste von offenen Baustellen

Dem gegenüber stünden allerdings derzeit viele regulatorische Hemmnisse und Unklarheiten sowie eine öffentlich-politische Diskussion, die stärker auf die Risiken als auf die Chancen fokussiert sei. „Wir brauchen Zutrauen in den Markthochlauf, wir müssen wegkommen von einer Knappheitsdiskussion und einer häufig nur sektoralen Sichtweise“, erklärte Kirsten Westphal, Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung und Mitglied des nationalen Wasserstoffrats.

Als offene „Baustellen“ wurden bei dem Pressegespräch vor allem der anstehende Aufbau der Infrastruktur, Verflechtungsregeln für Betreiber, die noch ausstehenden Ausschreibungen für H2-ready Gaskraftwerke sowie die Fortschreibung der nationalen H2-Strategie genannt. Offen seien auch noch klare Regeln, Standards und Zertifizierungen für den Handel mit Wasserstoff und seinen Derivaten. Dazu gehöre auch ein EU-weites, transparentes und international anschlussfähiges Herkunftsnachweis- und Zertifizierungssystem. Privatwirtschaftliche Investitionen erfolgten derzeit noch nicht in ausreichendem Umfang, weil die langfristigen Marktaussichten bisher noch zu ungewiss und die finanziellen Risiken daher zu groß seien.

Hoffnung auf Skaleneffekte zur Kostensenkung

„Für einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf brauchen wir Mut und Pragmatismus. Regulatorische Hürden sollten deshalb geringgehalten, Angebot und Nachfrage durch konsistente Förderinstrumente angereizt und ein verlässlicher Regulierungsrahmen, zum Beispiel für die zukünftige Wasserstoffinfrastruktur, gesetzt werden“, erklärte Westphal. Sie rechnet zudem damit, dass über Skaleneffekte die derzeit noch hohen Kosten von grünem Wasserstoff sinken und verwies auf das Beispiel der mittlerweile sehr kostengünstigen Photovoltaik.

Verweis auf hohe Angebotsprognosen

Westphal gab sich auch zuversichtlich, dass die prognostizierte Bandbreite an Nachfrage in Deutschland durch ein entsprechendes Angebot an grünem und klimaneutralem Wasserstoff gedeckt werden kann. Sie verwies hierbei auf Prognosen der Unternehmensberatungen Team Consult und Frontier Economics. Demnach steht einer erwarteten Nachfrage nach erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen in Höhe von 94-162 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2030 ein verfügbares Mengenpotenzial erneuerbarer und dekarbonisierter Gase in Höhe von 207-599 TWh gegenüber (incl. Biomethan). Das verfügbare Mengenpotenzial beim Wasserstoffstoff wird auf 117-497 TWh beziffert, davon 47-171 TWh grüner Wasserstoff (überwiegend Import), 31-276 TWh blauer Wasserstoff (Dampfreduzierung Erdgas/CCS) und 39-50 TWh türkiser Wasserstoff (Methanpyrolyse Erdgas).

Hochlauf in vier Phasen

Um vor allem grünen Wasserstoff nach vorne zu bringen, sieht der BDEW vier Phasen für die Marktentwicklung. Die Initialphase zur Schaffung der Grundvoraussetzungen für einen Markthochlauf in diesem und im kommenden Jahr. Anschließend die Aufbauphase bis Anfang der 2030er Jahre mit einem starken Fokus auf dem Aufbau der Infrastruktur und einer bedarfsgerechten Umstellung von Gasverteilnetzen auf Wasserstoff. Im Anschluss folgt die Ausprägungsphase und ab 2040 soll dann die Zielphase eines funktionierenden Wasserstoffmarktes erreicht sein.

Bausteine eines europäischen Marktdesigns

„Wir brauchen ein europäisches Marktdesign für Wasserstoff“, betonte Andreae und verwies auf die USA, die derzeit den Takt auch beim Wasserstoffhochlauf angäben. Folgende Bausteine sieht der BDEW als essenziell für H2 Marktdesign in Europa:

  • Ein Wasserstoffgesetz, das auf nationaler Ebene die erforderlichen Rahmenbedingungen zusammenfasst, das Zielbild unterstützt und für eine konsistente Gesetzgebung sorgt.
  • Eine zügige Planung und Bestätigung des H2-Kernnetzes und des initialen Verteilnetzes sowie eine daran anschließende rollierende Netzentwicklungsplanung für Methan und Wasserstoff. Ergänzend hierzu brauche es ein H2-Beschleunigungsgesetz.
  • Transparente, integre und anschlussfähige Standards und Zertifizierungen, auch um die Akzeptanz von Wasserstoff und Derivaten zu unterstützen. Laut BDEW sollte es keine zusätzliche nationale Verschärfung des delegierten Rechtsaktes der EU zur Definition von Strombezugskriterien für erneuerbaren Wasserstoff geben.
  • Konsistente Förderinstrumente und Maßnahmen, die einen schnellen H2-Hochlauf entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglichen. Hierbei ist es laut BDEW sinnvoll auch Nachfrageanfrage über Quoten und Mengenanreize zu setzen, doch müsse ständig die Konsistenz und das Zusammenwirken verschiedener Fördermaßnahmen mit Blick auf das Angebot geprüft werden.
  • Speicher, Flexibilitäten und Back-Up Optionen müssten je nach Phase und Region sehr unterschiedlich eingesetzt werden, seien aber jederzeit aufgrund ihrer Vorsorgefunktion im Markthochlauf auszugestalten, empfiehlt der BDEW.

Nötig ist laut BDEW das frühestmögliche Etablieren von einheitlichen europäischen Standards und einem stabilen europaweiten Regulierungsrahmen, um die EU-Binnenmarkt für H2 und H2-Derivate im internationalen Wettbewerb zu stärken. Eine Fragmentierung des Marktes sollte unbedingt vermieden werden, so das Plädoyer des BDEW. Hans-Christoph Neidlein

 

 

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