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Erneuerbare Energien im geopolitischen Kontext

Klimakatastrophen können gerade bei der Entwicklung in Schwellenländern zu Konflikten führen und Katalysatoren für Massenmigration oder Unruhen sein (Foto: Mark Rain, flickr.com, CC BY 2.0)
Klimakatastrophen können gerade bei der Entwicklung in Schwellenländern zu Konflikten führen und Katalysatoren für Massenmigration oder Unruhen sein (Foto: Mark Rain, flickr.com, CC BY 2.0)

Militärs warnen mit Schreckensszenarien vor drohenden Klimakriegen. Experten halten dies jedoch für überzogen. Fest steht, dass die Erneuerbaren Energien zukünftig eine wichtige geopolitische Rolle spielen werden. Umso dringender erscheint daher eine international konzipierte Energiewende.

10.02.2015 – Der Klimawandel – sicherheitspolitisch so gefährlich wie todbringende Epidemien oder Terrorismus, ein Thema für Verteidigungsministerien und Militär? Dass Klimakatastrophen zu Konflikten führen, Katalysator für Massenmigration und Unruhen sein könnten – diese These ist nicht neu, besonders wenn es um die Entwicklung in Schwellenländern geht. Ende 2014 schaltete das US-Verteidigungsministerium allerdings einen Gang hoch – die Vereinigten Staaten seien direkt bedroht, hieß es plötzlich. Zitat aus einem Pentagon- Bericht: „Der Klimawandel wird die Fähigkeit verringern, die Nation zu verteidigen und stellt eine unmittelbare Gefahr für die nationale Sicherheit der USA dar.“ Die Truppen stünden deshalb vor neuen Herausforderungen. Und vor einer steigenden Zahl von Einsätzen. US-Außenminister John Kerry fand eine eingängige Formel, um die Nation auf das bevorstehende einzuschwören: „Klimaschutz ist der Kampf gegen den internationalen Terror.“

In US-Medien ließen alarmierende Überschriften nicht lange auf sich warten: „Weiß unser Militär mehr über die Erderwärmung als wir?“ [Original: „Does Our Military Know Something We Don‘t About Global Warming?”, Forbes]. Doch ist die Lage tatsächlich so bedrohlich, wie es uns die US-Regierung glauben machen will? Die Fragestellung wird umso brisanter, da so manche Experten das Versiegen der Erdölquellen nicht mehr so schnell kommen sehen und der Ölpreis zuletzt aus schwindelerregender Höhe immer tiefer stürzte – steigt der Einsatz fossiler Energien dadurch sprunghaft an, rücken die globalen Klimaziele in noch weitere Ferne?

Es ist wahr: Viele Studien und Berichte, etwa die des Weltklimarats, warnen seit langem vor drastischen Auswirkungen rund um den Globus, wenn Gletscher schmelzen, steigende Meeresspiegel Metropolen bedrohen und andernorts Dürreperioden weite Landstriche unbewohnbar machen (neue energie 04/2013). In Amerika wurde das Thema von den Republikanern lange unter den Teppich gekehrt, viele von ihnen glauben bis heute nicht an die vom Menschen verursachte Erderwärmung– obwohl sich das US-Militär schon eine Weile mit diesem Thema beschäftigt. 2006 etwa wurde ein Military Advisory Board eingerichtet, ausschließlich mit pensionierten Generälen und Admirälen besetzt, das seither Sicherheitsrisiken des Klimawandels bewertet – zuletzt mit einer großen Studie im Mai 2014. Auch in Europa hat sich das Militär der potenziellen neuen Bedrohung angenommen, so etwa das Planungsamt der Bundeswehr mit den beiden Analysen „Peak Oil – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen“ (2011) und „Klimafolgen im Kontext“ (2012).

Dass erneuerbare Energien in den Plänen des Militärs sehr wohl als ein möglicher Lösungsansatz angesehen werden, dürfte angesichts der Schreckensszenarien kaum überraschen – Generalstäbe und ihre Wissenschaftler zeichnen sich eher durch Pragmatismus, weniger durch ideologischen Dünkel aus. In der Bundeswehr-Studie von 2011 heißt es: „Die post-fossile Transformation der Streitkräfte kann auch und gerade an den Standorten vorangetrieben werden und ist in Pilotprojekten schon angelaufen. Gerade hier dürfte die Nutzung erneuerbarer Energien stetig zunehmen und auch kurzfristig nutzbare Potenziale bieten.“ Zudem sei „eine stärkere Nutzung von Wind- und Sonnenenergie an den Einsatzorten (Base-Camps) denkbar, die den ‚ökologischen Fußabdruck‘ der Einsätze reduzieren“ könnte. Zugleich weist man bei der Bundeswehr auf den doppelten Nutzen des Dual Use hin – die gleichzeitige militärische und zivile Anwendung – und den ökonomischen Faktor dahinter. Fazit: „Für die Bundeswehr und die deutsche und europäische Rüstungsindustrie kommt es darauf an, die post-fossilen zivilen Technologien schnell zu adaptieren und wichtige Entwicklungen, die so nur in militärischen Kontexten auftreten, sowohl eigenständig als auch in internationalen Kooperationen voranzutreiben.“

2011 waren die USA allerdings schon weiter, bis 2016 soll die Hälfte des Treibstoffs für Militärflugzeuge aus erneuerbaren Quellen stammen, Erneuerbaren-Technologien halten in den gesamten militärischen Alltag Einzug. Die taktischen wie ökonomischen Vorteile angesichts des bis 2008 stetig steigenden – und später nach einem Einbruch sich schnell wieder erholenden – Ölpreises lagen zumindest längerfristig betrachtet auf der Hand – so lernte das Pentagon die Erneuerbaren lieben.

Die Annahme, dass der Klimawandel tatsächlich zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen führt, die obendrein hochentwickelte Industrienationen bedrohen könnten, ist jedoch alles andere als unumstritten. Bereits die Äußerung von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der Völkermord in Darfur 2007 sei der erste Klimakrieg gewesen, wurde sofort von Experten kritisiert. Halvard Buhaug vom renommierten Friedensforschungsinstitut in Oslo etwa kommt in seiner Analyse „Climate not to blame for African civil wars“ von 2010 zu dem Schluss, dass zwischen steigenden Temperaturen und der Häufigkeit von Kriegen kein Zusammenhang bestehe. Ähnliche Resultate brachte 2011 eine groß angelegte Analyse der Vereinten Nationen zur Sahel-Zone. Das Ergebnis: Klimawandel führe nicht notwendigerweise zu mehr Konflikten, als es ohnehin geben würde. Vielmehr spielten Probleme wie Landverteilung, schlechte Infrastruktur oder unzulängliche Regierungssysteme eine zentrale Rolle. Viele Beobachter weisen darauf hin, dass der Klimawandel bereits bestehende Konflikte eher als eine Art Brandbeschleuniger zusätzlich verschärfen könnte.

Aber „Klimakriege“ – alles nur Panikmache? Experten fordern eine differenziertere Debatte. In jedem Fall kann Umweltpolitik aber dazu missbraucht werden, Rüstungsetats zu legitimieren. Statt Erneuerbaren-Anlagen und Effizienzmaßnahmen zu fördern, werden staatliche Mittel in Richtung Militär gelenkt. Ein bekannter Fall sind die Transportflugzeuge, nach denen im Europaparlament für schnelle Einsätze nach Extremwetterereignissen verlangt wird, die allerdings schon über Jahre hinweg für andere Zwecke gefordert worden waren.

Die Komplexität des Themas zu unterschätzen, davor warnen auch Politiker wie etwa der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour: „Wer Klimapolitik als Politik von Nationalstaaten begreift und betreibt, hat nichts verstanden und wird auch nichts erreichen“, formulierte er in einem Beitrag für das Magazin Internationale Politik. Nouripour weist darauf hin, dass selbst drastische Klimaveränderungen allein nicht ausreichen, um Nationen zu militärisch relevanten Brandherden werden zu lassen: „Zwar sind ohne ein funktionierendes Konfliktmanagement die immer langfristig ausgerichteten Ziele einer Klimapolitik nicht zu erreichen. Aber weil es sich um Interessenkonflikte handelt, hängt ihre Lösung vom Funktionieren des Staates und der Zivilgesellschaft sowie der Kooperationsfähigkeit aller Beteiligten ab. Deshalb ist ein sicherheitspolitisch dominierter Diskurs eher eine Belastung als eine Chance, weil diese Art des Diskurses Konflikte eher auflädt als sie handhabbar zu machen“, ist Nouripour überzeugt.

Forscher weisen zudem auf Phänomene hin, die im krassen Gegensatz zu militärischen Horrorszenarien stehen. So erklärt der Politikwissenschaftler Markus Lederer von der Uni Münster: „Über die letzten 150 Jahre hinweg kam es immer dann, wenn die Ressourcen knapp wurden und Umweltveränderungen eintrafen, eher zu verstärkter Kooperation zwischen Staaten und eben nicht zu Kriegen. Das heißt allerdings nicht, dass es keine Zunahme von lokalen Konflikten gibt. Der Klimawandel ist somit ein Problem menschlicher Sicherheit, weniger von zwischenstaatlicher Sicherheit“.

Dass die Debatte zum Umwelt- und Klimaschutz aktuell wieder verstärkt von Geopolitik überlagert wird – mit allen wirtschafts- und machtpolitischen Konsequenzen –, zeigen seit geraumer Zeit die Konflikte rund um das russische Gas, die in der Ukraine-Krise eskalierten. Experten wie der grüne Ex-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell betonen, dass Russland kein verlässlicher Energielieferant für Europa bleiben kann, auch weil die Produktion rückläufig ist. In einer Studie der Energy Watch Group (neue energie 10/2014), deren Präsident Fell ist, betont er: „Eine Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen innerhalb des fossilen Energiesystems zu erreichen, ist unmöglich. Eine mittelfristig umsetzbare Alternative bietet hingegen der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien innerhalb der EU.“

Schwer kalkulierbar wird die Lage derzeit durch den massiven Preisverfall beim Erdöl – einer Energiequelle, um die schon viele Kriege geführt wurden. Die arabischen Förderländer sind in eine Preisschlacht mit ihren Konkurrenten eingetreten. Noch im vergangenen Jahr musste für ein Barrel über 100 Dollar gezahlt werden, mittlerweile ist es weniger als die Hälfte (Stand Ende Januar). Russland scheint diesen Wirtschaftskrieg bereits verloren zu haben – dort rechnet sich die Erdölförderung im Grunde nicht mehr.

Welche Auswirkungen die sinkenden Einnahmen etwa in Saudi-Arabien haben, ist offen. Nur eines scheint sicher – beide Länder haben bislang den Anschluss an die Transformation des Energiesystems so gut wie komplett verpasst. Was geschieht, wenn aus ihren fossilen Quellen kein Geld mehr zu schlagen ist? Der Tod des saudischen Königs Abdullah im Januar verunsichert die US-Regierung in jedem Fall zutiefst, hatte man in ihm doch einen treuen Bündnispartner im Kampf gegen den Terrorismus gefunden. Neue Instabilität im Nahen Osten – ein Pulverfass, auch ohne Klimawandel.

Bietet diese Entwicklung vielleicht neue Chancen für Erneuerbare? Als unbestritten gilt unter Experten, dass der Systemwechsel weg von endlichen fossilen Energieträgern hin zu unendlich verfügbaren Quellen wie Wind und Sonne ganz prinzipiell für weniger „Zündstoff“ sorgt.

Es bedarf dazu allerdings klarer politischer Bekenntnisse. Harald Uphoff, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie, zur aktuellen Lage: „Es wird schwieriger und leichter zugleich. Erdöl aus schwierigen Lagen wie der Tiefsee oder der Arktis zu fördern, rechnet sich bei diesen niedrigen Preisen nicht mehr. Das heißt, dass die Kreditaufnahme für teure Bohrungen für Erdöl-Konzerne schwieriger wird. An dieser Stelle sind Erneuerbare im Vorteil, da deren Kosten in den nächsten Jahren weiter fallen werden.“ Geringe Auswirkungen sieht Uphoff bei der Stromproduktion, die nur in wenigen Ländern vom Erdöl abhänge. Zum anderen hätten Regierungen oftmals über Erneuerbare- Energien-Gesetze bereits die Weichen für den Ausbau gestellt. „Härter ist das im Wärme- und Mobilitäts-Sektor. Kurzfristig könnte es schwieriger werden, die Menschen zum Umstieg auf Erneuerbaren-Wärme und E-Mobilität zu bewegen. An dieser Stelle muss die Politik endlich den Vorschlägen unserer Branche nachkommen und geeignete Rahmenbedingungen schaffen“, sagt Uphoff. Einige Regierungen nutzten laut Uphoff die Gelegenheit, Subventionen für Benzin und Diesel zu reduzieren.

Mehr Friede in der Welt, die Erneuerbaren können auf dem Weg dahin helfen, auch wenn die wissenschaftliche Erforschung ihrer geopolitischen Rolle noch in den Anfängen steckt. Dass diese Rolle mit dem weiteren Zubau immer wichtiger wird, gilt als sicher. Eben weil die Erneuerbaren die langfristige globale Sicherheit der Menschheit beeinflussen können, fordert Markus Lederer jedoch die Abkehr von zu kleinteiligen Lösungen: „Rein national konzipierte Energiewenden sind absurd“. Bezogen auf Deutschland sieht er sogar die Gefahr, einer Fragmentierung des europäischen Binnenmarkts, sollte die deutsche Energiewende nicht besser mit den Nachbarländern koordiniert werden – ein Appell an Berlin und Brüssel zugleich.

Dass neben der sauberen Energiegewinnung auch die Atomindustrie eine Renaissance erlebt, ist Regierungen rund um den ganzen Globus anzulasten. Der billige Ölpreis und die damit deutlich wachsende Gefahr steigender CO2- Emissionen ist ein ideales Schmiermittel für die Argumentation der Atom-Lobbyisten. Zugleich nimmt dadurch die nukleare Bedrohung zu. Bekanntlich verfügen auch Länder mit instabilen Regierungssystemen über Atomwaffenarsenale. In Russland etwa lagern tausende Atomsprengköpfe. Was passiert mit ihnen, wenn das Land wirtschaftlich zusammenbricht, weil es zu lange auf Öl und Gas gesetzt hat? Liegen diese Staaten dann noch in Regionen, die von Klimakatastrophen dereinst schwer getroffen werden könnten, dann trifft die Sorge des Pentagon vielleicht tatsächlich zu. Das US-amerikanische Bulletin of Atomic Scientists hat jedenfalls jüngst den symbolischen Zeiger der Doomsday Clock auf Drei vor Zwölf gestellt. Die globale Katastrophe rückt für die Wissenschaftler aus genau zwei Gründen näher: Der zunehmenden Verbreitung von Atomwaffen und dem fortschreitenden Klimawandel. Jörg-Rainer Zimmermann (neue energie, Ausgabe Nr. 02/2015, S. 18 – 27, www.neueenergie.net)

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