PIK Potsdam StudieGlobaler Kohleausstieg ohne Strategiewechsel nicht möglich

Demo in Berlin Juli 2020 gegen das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung mit Plakat: exit coal, enter future
Um den globalen Ausstieg aus der Kohle zu schaffen, braucht es große klimapolitische Anstrengungen. Demo gegen die Kohlepolitik der Bundesregierung in Berlin im Juli 2020 (Foto: Stefan Müller / Flickr / CC BY 2.0)

Ein weltweiter Kohleausstieg ist nur mit sehr viel stärkeren klimapolitischen Maßnahmen und nur in Kooperation mit China machbar, sagen Klimaforscher des PIK. Die Kohlenstoff-Bepreisung und der Ausstieg aus dem Kohlebergbau wären wirksame Maßnahmen.

08.02.2023 – In einer aktuellen Studie zur globalen Energiezukunft haben Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Potsdam festgestellt, dass die aktuelle Klimapolitik, einschließlich der Bemühungen wie etwa der Powering Past Coal Alliance, nicht ausreicht, um einen globalen Kohleausstieg herbeizuführen.

Länder, die gewillt sind, aus der Kohleverstromung auszusteigen, müssten ihre politische Strategie ausweiten – sonst liefen sie Gefahr, das überschüssige Kohleangebot in andere Industriezweige im eigenen Land zu verlagern, etwa in die Stahlproduktion, warnen die Studienautoren. China hat laut Forschungsergebnissen die Chance, den Markt für Erneuerbare Energien zu prägen, wenn es sofort mit dem Ausstieg aus der Kohle beginnt. Andernfalls könnte es jedoch den weltweiten Durchbruch der Erneuerbaren Energien auf gefährliche Weise verzögern, so die Klimaforscher.

„Es ist ein wirklich entscheidender Moment“

Stephen Bi vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Potsdam und Hauptautor der in Nature Climate Change publizierten Studie betont den Zeitpunkt, an dem wir stehen. „Unsere Computersimulation der derzeitigen Klimaökonomie und -politik zeigt, dass die Chance für einen Kohleausstieg bis Mitte des Jahrhunderts weniger als fünf Prozent beträgt. Dies würde bedeuten, dass wir nur minimale Chancen haben, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und schwerwiegende Klimarisiken zu begrenzen“, warnt der Forscher. „Was uns besonders verblüfft hat: Obwohl in unseren Simulationen die meisten Länder beschlossen, die Kohleverstromung einzustellen, hatte dies fast keine Auswirkungen auf den gesamten zukünftigen Kohleverbrauch.“ Das Forscherteam hat daraufhin das Ergebnis eingehender analysiert, um herauszufinden, was die politischen Entscheidungsträger tun könnten, um den Kohleausstieg tatsächlich zu erreichen.

Welche politischen Maßnahmen wären besonders effektiv?

Die Forschenden untersuchten die Powering Past Coal Alliance (PPCA), die auf dem Weltklimagipfel COP23 im Jahr 2017 ins Leben gerufen wurde, um herauszufinden, ob die Bemühungen dieser Länder um einen Kohleausstieg es anderen Ländern erleichtern oder erschweren würden, diesem Beispiel zu folgen. „Optional könnte die Koalition wachsen, wenn die Mitgliedsstaaten an der Modernisierung ihres Stromsektors arbeiten, aber sie könnte auch zu einem Wiederanstieg der Kohlenutzung weltweit führen“, fanden die Forscher heraus. Der letztgenannte Effekt, der oft als Leckage bezeichnet wird, könne durch Markteffekte entstehen: Wenn die Nachfrage an einigen Orten sinkt, sinken auch die Preise, was wiederum die Nachfrage anderswo erhöhen kann, erläutern die Studienautoren.

Die Computersimulationen machten deutlich, dass ein besorgniserregender Verlagerungseffekt in diesem Fall eher innerhalb des Bündnisses selbst als auf den internationalen Kohlemärkten entstehen könnte. Obwohl die PPCA voraussichtlich wachsen werde, sei ihre Selbstverpflichtung auf den Stromsektor beschränkt – was wiederum bedeute, dass Länder, die der Allianz beitreten, ihren Kohleverbrauch in der Stahl-, Zement- und Chemieproduktion erhöhen könnten, was das Potenzial dieser Initiative stark einschränken würde. „Die größte Gefahr für den Kohleausstieg könnte von Trittbrettfahrern innerhalb der Koalitionsmitglieder ausgehen. Unregulierte Industrien können von fallenden Kohlepreisen im Inland profitieren und mehr Kohle verbrauchen“, erklärt Mitautor Nico Bauer vom PIK den Vorgang.

Zusätzliche und konsequente Maßnahmen wären also erforderlich, um diesen Effekt zu vermeiden, so das Fazit des Forscherteams. „Die Debatte über den Kohleausstieg muss über den Energiesektor hinausgehen und auch die Schwerindustrie einbeziehen. Die Bepreisung von Kohlenstoff wäre das effizienteste Instrument, um Schlupflöcher in den nationalen Vorschriften zu schließen, während Beschränkungen des Kohleabbaus und der Exporte am ehesten geeignet wären, um Trittbrettfahrer im Ausland abzuschrecken“, so Bauer weiter.

China sitzt am großen energiepolitischen Hebel

„China spielt eine besondere Rolle, da es mehr als die Hälfte der Kohle weltweit produziert und verbraucht. Die chinesische Regierung muss jetzt schnell handeln“, sagt Bi. „Die derzeitigen Kohlepläne gefährden Chinas jüngstes Versprechen, den Höhepunkt der heimischen Emissionen vor 2030 zu erreichen und bis 2060 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die Computersimulation gibt China ungefähr eine fünfzig zu fünfzig Chance, der Allianz beizutreten, und das wird nur zu schaffen sein, wenn China den Bau von Kohlekraftwerken bis 2025 einstellt.“

Zudem zeige die Simulation, dass die Allianz den Ausbau von Solar- und Windenergie nur dann vorantreibt, wenn China den Kohleausstieg beschließt. China hätte somit „eine einmalige Gelegenheit, seine führende Rolle auf dem Markt für Erneuerbare Energien zu festigen und weltweit nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten freizusetzen, aber dies erfordert Engagement für den Kohleausstieg“, erklärt Bi. „Wenn das nicht klappt, bleibt unklar, wie wir eine ausreichende Verbreitung der Erneuerbaren Energien weltweit erreichen. Chinas heutiges Handeln kann es in die Lage versetzen, die globale Energiewende entweder anzuführen oder zu behindern.“

Innovative Computersimulation zur Politikgestaltung unter realen Bedingungen

Die Erkenntnisse seien wesentlich belastbarer als frühere Analysen, berichten die Studienautoren, da sie zum ersten Mal einen datengestützten Ansatz zur Simulation realer politischer Entscheidungen, die sog. dynamische Politikbewertung, verwendet haben. „Die wissenschaftliche Analyse künftiger Emissionen ist mit vielen Unsicherheiten behaftet, nicht zuletzt in der Politik. Wir konnten feststellen, dass Verpflichtungen zum Kohleausstieg oft von bestimmten innerstaatlichen Vorbedingungen abhängen. Unser neuer Ansatz ist der erste, der die Implementierung politischer Maßnahmen in zukünftigen Szenarien an sozio-technische Entwicklungen knüpft und in Übereinstimmung mit historischen Belegen simuliert“, erläutert Mitautorin Jessica Jewell von der Chalmers University of Technology die neue Vorgehensweise.

Kohleausstieg braucht viel mehr politischen Schwung

„Die G20 hat den Ausstieg aus der internationalen öffentlichen Finanzierung von Kohleprojekten eingeleitet“, sagt PIK-Direktor Ottmar Edenhofer. „Wir prüfen nun, wie viel politischen Schwung dies der PPCA verleihen kann. Die Dinge sehen also etwas vielversprechender aus. Wir müssen allerdings neben den positiven auch die negativen Entwicklungen berücksichtigen, um besser bewerten zu können, wie internationale Politikinitiativen in unserer multipolaren Welt aufgenommen und verbreitet werden. Klar ist, dass die Regierungen den Ausstieg aus der Kohle viel aktiver angehen müssen, wenn sie ihre Klimaversprechen einhalten wollen.“

Zum ArtikelStephen Bi, Nico Bauer, Jesscia Jewell (2023): Coal-exit alliance must confront freeriding sectors to propel Paris-aligned momentum. Nature Climate Change. [DOI: 10.1038/s41558-022-01570-8]

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

max 2.000 Zeichen