(Foto: Sebastian Wiedling, UFZ)

Meinung 03.01.2022

EU-Taxonomie bleibt politischer Bewertungsakt

Die pauschalen Aussagen über Nachhaltigkeit verleihen der EU-Taxonomie einen weit reichenden Symbolwert. Was sollte noch für den Vorrang der Erneuerbaren sprechen, wenn Gas- und Atomkraft als grün etikettiert werden? Umweltökonom Erik Gawel zu den Schwächen des gewählten Bewertungsmodells.

Erik Gawel leitet das Department Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er ist Professor für institutionenökonomische Umweltforschung an der Universität Leipzig.


Meinung 03.01.2022

EU-Taxonomie bleibt politischer Bewertungsakt

Die pauschalen Aussagen über Nachhaltigkeit verleihen der EU-Taxonomie einen weit reichenden Symbolwert. Was sollte noch für den Vorrang der Erneuerbaren sprechen, wenn Gas- und Atomkraft als grün etikettiert werden? Umweltökonom Erik Gawel zu den Schwächen des gewählten Bewertungsmodells.

(Foto: Sebastian Wiedling, UFZ)

Erik Gawel leitet das Department Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er ist Professor für institutionenökonomische Umweltforschung an der Universität Leipzig.



Die EU-Taxonomie liefert kein universell gültiges Bewertungsraster für Nachhaltigkeit, sondern einen pragmatischen ad-hoc-Ansatz für einen begrenzten Zweck. So sollen Wirtschaftsaktivitäten klassifiziert werden, um privaten Finanzströmen Anhaltspunkte zu geben, wo grüne Investments möglich sind. Weltweit setzen Investoren zunehmend auf ‚grün‘ – wenn klar ist, was genau dazu zählt. Diese Lücke soll die EU-Taxonomie füllen.

Dass aber so gleichzeitig erstmals auf offizieller Ebene EU-weit Aussagen gleichsam über Nachhaltigkeit schlechthin getroffen werden, lässt der Taxonomie eine weit über den eigentlichen Zweck hinausreichenden Symbolwert zukommen. Diese symbolische Bedeutung geht einher mit nicht zu unterschätzender öffentlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Es ist absehbar, dass die hier vorgenommene ad-hoc-Klassifizierung als offizielle Klärung der Nachhaltigkeitsfrage schlechthin überinterpretiert werden wird – und insbesondere in die Klima- und Energiepolitik auf europäischer und nationaler Ebene hineinstrahlen wird, aber auch in die Anlageentscheidungen internationaler Investoren. Dass sich dies mit den Notwendigkeiten, den Ausbau der Erneuerbaren stark zu forcieren, bricht, ist offensichtlich. Was sollte noch für den Vorrang der Erneuerbaren sprechen, wären Gas-, Atom- und Regenerativkraft gleichermaßen kategorisch als ‚grün‘ etikettiert?

Ultimativ festzulegen, was nachhaltig sei oder was nicht, lässt sich wegen der Komplexität der zu berücksichtigen Faktoren, der dabei auftretenden Unsicherheiten und der Notwendigkeit, Bewertungen einfließen zu lassen, nicht wissenschaftlich zweifelsfrei lösen. Viele anders aufgebaute Bewertungsraster als jenes der EU-Taxonomie wären denkbar, vielleicht sogar überzeugender. Außerdem fokussiert die Taxonomie-Bewertung allein auf ausgewählte ökologische Effekte. Für politische Entscheidungen sind aber zum Beispiel auch Technologiekosten zu berücksichtigen. Insofern taugt die Taxonomie keinesfalls als abschließendes Technologie-Assessment, erst recht nicht für die Orientierung von Investitionen oder Investitionsförderung.

Die EU-Taxonomie bietet daher auf wissenschaftlich durchaus begrenzter methodischer Grundlage ein recht starkes Statement (‚ist nachhaltig‘). So mussten für die Klassifizierung der Klimaeffekte von Gaskraftwerken nicht unumstrittene Grenzwerte gesetzt werden; bei der Bewertung der Atomenergie fehlen von vorneherein relevante Nachhaltigkeitseffekte (zum Beispiel Risiken von Störfällen, Kosten der Endlagerung), andere wurden per Einschätzung ‚geklärt‘. Die EU-Taxonomie bleibt letztlich – bei allen wertzuschätzenden Versuchen einer transparenten Regelgebundenheit für das Etikett der Nachhaltigkeit – ein politischer Bewertungsakt. Das Gezerre um die Einordnung von Gas- und Atomkraft legt davon beredtes Zeugnis ab.

Umlenkung privater Finanzströme in Technologien von Gestern

Eine pauschale Etikettierung fossiler und nuklearer Energieerzeugung als ‚grün‘ muss angesichts der klimapolitischen Notwendigkeiten und der offensichtlichen Nachhaltigkeitsdefizite der Atomkraft irritieren. Das Nachhaltigkeits-Attest wird zur unerwünschten Umlenkung privater Finanzströme weg vom notwendigen Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoffinfrastruktur hin zu Technologien von gestern führen. Zugleich wird der langfristig unvermeidliche Übergang in eine ‚solare Wasserstoffwirtschaft‘ verzögert und es werden der Gesellschaft dabei unnötige zusätzliche (Ewigkeits-) Lasten aufgebürdet. Auch die als Brückentechnologie notwendige Gaskraft ist als bloßes Mittel des Übergangs schon gerade deswegen nicht dauerhaft ‚nachhaltig‘. Gaskraftwerke sind klimapolitisch eher ein ‚notwendiges transitorisches Übel‘, aber sicher keine gleichwertige dauerhafte ‚Nachhaltigkeitsalternative‘. Auch ist offen, inwieweit ein Brückenbedarf tatsächlich neue Investments erfordert.

Inflexibler Atomstrom mit immensen Ewigkeitslasten

Stromerzeugung aus Atomenergie dürfte sogar der Inbegriff nicht-nachhaltiger Energiebereitstellung sein. Atomkraft stellt zu vielfach heruntersubventionierten und deshalb nur scheinbar konkurrenzfähigen Kosten einer einzigen Generation Strom zur Verfügung. Sie hinterlässt dafür einer kaum vorstellbaren Zahl künftiger Generationen Ewigkeitslasten für eine bis heute nicht überzeugend gelöste Endlagerung. Sie ist im Betrieb und in den Folgen mit erheblichen Risiken belastet, die im Marktpreis nicht abgebildet werden und für die Allgemeinheit und künftige Generationen aufkommen müssen.

Inflexibler Atomstrom passt zudem nicht in ein zukunftsfähiges Energiesystem mit volatilen Erneuerbaren und wird selbst zu heruntersubventionierten Preisen wirtschaftlich nicht mit Erneuerbaren mithalten können. Schon derzeit kostet eine von Folgelasten freigestellte Kilowattstunde Atomstrom weltweit zwischen 13 und 30 Cent, während Windstrom für drei bis acht Cent zu haben ist. Atomenergie ist schließlich auch deshalb keine nachhaltige Lösung, weil sie auf den Einsatz endlicher Ressourcen angewiesen ist. Eine vermeintlich schnelle Lösung des Klimaproblems würde daher mit massiven Problemen erkauft, für die heutige Entscheidungsträger aber die Verantwortung nicht mehr übernehmen müssen. Nachhaltigkeit bedeutet gerade das Gegenteil: heute so wirtschaften, dass auch die Zukunft angemessen gesichert bleibt.

Nach den EU-Verträgen ist der Energieträger-Mix Sache der Mitgliedstaaten. Dass es EU-weit keinen Konsens über den angemessenen Träger-Mix in einem dekarbonisierten Energiesystem gibt, bremst die europäische Klimapolitik aus. Die Taxonomie-Verordnung nimmt nunmehr – gleichsam durch die Hintertür – eine EU-weite Wertung von Energieträgern vor, die bislang wohlweislich vermieden wurde. Für die deutsche, aber auch die EU-Energiewende ist die pauschale Deklaration bestimmter fossil-nuklearer Stromerzeugung als gleichrangig mit regenerativen Quellen problematisch und auch nicht sachgerecht. Sie steht zudem im Widerspruch zu dem von den G7 bereits 2015 formulierten Ziel, bis zum Ende des Jahrhunderts aus fossilen Energien auszusteigen. Tatsächlich muss der Ausstieg weitaus früher gelingen, um die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten.

Formal widerspräche ein grünes Label für Gaskraftwerke wohl nicht dem aktuellen Entschluss von 20 Staaten auf der COP 26, künftig nicht mehr in fossile Energien ‚im Ausland‘ zu investieren. Allerdings ist die vielfach bekräftigte Notwendigkeit, fossile Energienutzung nach einer möglichst kurzen Übergangsphase zu beenden, mit einem kategorischen EU-Etikett ‚grün‘ schwerlich vereinbar.

Alternative: Umweltwirkungen einpreisen

Anstatt ein umstrittenes ad-hoc-Prädikat zu vergeben, wäre es zielführender, einen umweltpolitischen Instrumentenmix aufzusetzen, der die diversen Umweltwirkungen der verschiedenen Technologien angemessen einpreist oder ordnungsrechtlich adressiert und so marktendogen zu einem ‚grünen Technologiemix‘ führen könnte – und dabei der Komplexität des Problems besser gerecht würde. Dann nämlich könnten Kapitalgeber und Investoren schlicht den ‚profitablen‘ Investitionschancen folgen. Profitabel wären dann aber nur noch solche Technik-Alternativen, die auch unter Ausweis ihrer vollen volkswirtschaftlichen Kosten heute und in der Zukunft wirklich wettbewerbs- und zukunftsfähig sind.

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