Baumaterial-ForschungInnovativer Werkstoff für klimagerechte Architektur

Eine Scheibe neues polymerbasiertes Material das wie Milchglas aussieht
Kühlend, lichtdurchlässig und blendfrei: Das neue Material vereint mehrere besondere Eigenschaften. (Foto: Gan Huang, KIT)

Ein neu entwickeltes polymerbasiertes Material könnte in Zukunft Glaskomponenten im Baubereich ersetzen und dabei gleichzeitig für optimale Nutzung von Sonnenlicht in Innenräumen sorgen, passiv kühlen und die Abhängigkeit von Klimaanlagen reduzieren.

05.07.2024 – Möglichst viel natürliches Licht in Gebäuden ist beliebt und kann Energiekosten senken. Doch herkömmliche Glasdächer und -wände bringen umgekehrt auch Probleme mit sich, wie etwa Blendung, mangelnde Privatsphäre und Überhitzung. Alternative Lösungen wie Beschichtungen und lichtstreuende Materialien bieten bislang noch keine umfassende Abhilfe.

Forschende am Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) und am Lichttechnischen Institut (LTI) des KIT haben sich des Themas angenommen und ein neuartiges Metamaterial entwickelt, das verschiedene Eigenschaften vereint und in Zukunft Glaskomponenten im Baubereich ersetzen könnte.

Das Forscherteam stellt nun in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Communications ein polymerbasiertes Material mit besonderen Eigenschaften vor. Das Material lässt Sonnenlicht ins Innere, sorge für ein angenehmeres Raumklima und reinigt sich wie ein Lotusblatt selbst, heißt es im Bericht. Die Neuentwicklung könnte in Zukunft Glaskomponenten in Wänden und Dächern ersetzen, so die Forschenden. In Außentests auf dem Campus des KIT hat das Team das Material jetzt erfolgreich erprobt. (DOI: 10.1038/s41467-024-48150-2).

Neues Material vereint mehrere Funktionen

Das sogenannte Polymer-based Micro-Photonic Multi-Functional Metamaterial (PMMM) besteht aus mikroskopisch kleinen Pyramiden aus Silikon. Diese Mikropyramiden messen rund zehn Mikrometer, das entspricht etwa einem Zehntel des Durchmessers eines Haares, heißt es im Forschungsbericht. Diese Beschaffenheit verleiht demnach dem PMMM-Film mehrere Funktionen: Lichtstreuung, Selbstreinigung und Strahlungskühlung bei gleichzeitig hoher Transparenz. „Ein wesentliches Merkmal ist die Fähigkeit, effizient Wärme durch das langwellige Infrarot-Übertragungsfenster der Erdatmosphäre abzustrahlen und so Wärme in die kalte Weite des Universums abzugeben. Das ermöglicht eine passive Strahlungskühlung ohne Stromverbrauch”, erläutert Bryce S. Richards, Professor am IMT und LTI, die Funktionsweise.

Kühlend, lichtdurchlässig und blendfrei

Im Labor und mit Experimenten unter freiem Himmel bei realen Außenbedingungen testeten die Forschenden die Eigenschaften des Materials und maßen mit moderner Spektrophotometrie Lichtdurchlässigkeit, Lichtstreuung, Reflexionseigenschaften, Selbstreinigungsfähigkeit und Kühlleistung. Mit gewünschtem Erfolg: In den Versuchen wurde laut Bericht eine Kühlung um sechs Grad Celsius gegenüber der Umgebungstemperatur erreicht. Zudem zeigte sich eine hohe spektrale Durchlässigkeit, also Transparenz von 95 Prozent. Glas hat im Vergleich üblicherweise eine Transparenz von 91 Prozent.

Gleichzeitig werden durch die Mikropyramidenstruktur 73 Prozent des einfallenden Sonnenlichts gestreut. Das sorgt für eine verschwommene Optik. „Wenn das Material in Dächern und Wänden verwendet wird, ermöglicht es so helle und gleichzeitig blendfreie sowie sichtgeschützte Innenräume für Arbeiten und Wohnen“, sagt Gan Huang, Gruppenleiter am IMT. „In Gewächshäusern könnte die hohe Lichtdurchlässigkeit die Erträge steigern, weil die Effizienz der Fotosynthese schätzungsweise neun Prozent höher ist als in Gewächshäusern mit Glasdächern.”

Vorbild Natur

Die Mikropyramiden verleihen dem PMMM-Film zudem superhydrophobe Eigenschaften, ähnlich wie bei einem Lotusblatt: Wasser perlt in Form von Tropfen ab und entfernt dabei Schmutz und Staub von der Oberfläche. Diese Selbstreinigungsfunktion macht das Material pflegeleicht und langlebig.

Potenzial für Bau und Stadtentwicklung

„Unser neu entwickeltes Material hat das Potenzial, in verschiedenen Bereichen eingesetzt zu werden und leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und energieeffizienten Architektur“, resümiert Richards. „Das Material kann gleichzeitig für optimale Nutzung von Sonnenlicht in Innenräumen sorgen, passiv kühlen und die Abhängigkeit von Klimaanlagen reduzieren. Die Lösung lässt sich skalieren und nahtlos in Planungen für umweltfreundlichen Hausbau und Stadtentwicklung integrieren”, ergänzt Huang.

Nachhaltigkeit und Ökologie

Doch wie sieht es mit der Langlebigkeit und Ökologie des polymerbasierten Materials aus? Auf Anfrage von energiezukunft berichten die Wissenschaftler, dass das neuartige Material auf Langlebigkeit ausgelegt sei und seine Integrität und Leistung unter normalen Umweltbedingungen beibehalte. „Wir haben die Lebensdauer des Materials noch nicht getestet, aber das Polymer selbst ist stabil.“

Das Basismaterial PDMS, allgemein als Silikon bekannt, sei zwar nicht biologisch abbaubar, aber sehr gut recycelbar. „Wir setzen uns für die Förderung der Kreislaufwirtschaft ein, indem wir die Wiederverwertbarkeit unseres Materials verbessern“, so die Wissenschaftler. Silikon gelte als umweltfreundlich, da es inert und ungiftig ist, erläutern die KIT-Forscher. „Es reagiert nicht mit anderen Materialien und ist über einen breiten Temperaturbereich hinweg stabil, was die Umweltbelastung während seines Lebenszyklus verringert.“ na

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