BürgerenergiewendeEnergiegemeinschaften als Säule des Energiesystems etablieren

Menschen auf einer Dachterrasse mit Solaranlage auf dem Dach
Solar chillen: Ob gemeinsamer Solarpark auf dem Land oder PV auf dem Dach in der Stadt – Energiegemeinschaften sind ein Gewinn für Klima und Gesellschaft. (Foto: naturstrom AG/Andre Forner)

Energiegemeinschaften leisten viel für die Energiewende. Sie fördern Akzeptanz, sichern Finanzierung und ermöglichen Stabilität. Experten fordern daher eine politische Strategie, die den passenden regulatorischen Rahmen dafür schafft.

10.07.2024 -  Tausende Bürger setzen sich vor Ort bereits für die Energiewende ein – bspw. als Teil von Energiegemeinschaften investieren sie in lokal erzeugte Erneuerbare Energien und beteiligen sich daran. Forschende vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), der Leuphana Universität Lüneburg und dem Ecolog-Institut zeigen in einem aktuellen Politikpapier die hohe Relevanz der Energiewende von unten auf und weisen darauf hin, dass die Potenziale viel höher seien als bislang ausgeschöpft. Sie empfehlen der Politik, klare Förderbedingungen zu schaffen, die Bürger besser zu informieren und Hürden sowie Bürokratie abzubauen. Nur so könne es gelingen, den Zielvorgaben der Europäischen Union zu folgen: Diese sehen vor, dass in jedem Ort mit mehr als 10.000 Einwohnern mindestens eine Energiegemeinschaft entstehen soll.

Regulatorik und Möglichkeiten von Energiegemeinschaften – ein Flickenteppich

Schätzungsweise gibt es laut IÖW etwa 2.500 bis 3.000 Energiegemeinschaften in Deutschland. Ihre Mitglieder genießen neben günstiger Energieversorgung auch soziale Wirkungen wie eine Wissensvermittlung zur Energiewende, zudem werde die Gemeinschaft vor Ort gestärkt, berichten die Akteure. Auch die Energiepolitik und das Energiesystem gewinnen: Energiegemeinschaften fördern lokal die Akzeptanz für die Energiewende und finanzieren die Umstellung auf Wind- oder Sonnenenergie mit.

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Obwohl Studien den Energiegemeinschaften europaweit ein hohes Potenzial zuschreiben, entwickeln sich die partizipativen Modelle in Deutschland nur schleppend weiter, bemängeln die Studienautoren. „Für den Bund stehen Energiegemeinschaften bislang nicht im Zentrum, wenn es darum geht, das klimaneutrale Energiesystem der Zukunft zu gestalten.

Impulse kamen zuletzt vor allem auf Ebene der Länder oder der Europäischen Union“, erläutert Energieexpertin Swantje Gährs vom IÖW. „Mit dem im Mai 2024 in Kraft getretenen Solarpaket ist die Bundesregierung zwar erste Schritte gegangen, aber neue Energiegemeinschaftsmodelle wie etwa Energy Sharing, bei dem Teilnehmende nicht nur in Energieanlagen investieren, sondern auch gemeinschaftlich die Energie nutzen, sind nach der aktuellen Regulatorik immer noch nicht möglich. Wir empfehlen der Bundespolitik und -verwaltung, die Potenziale von Energiegemeinschaften für die Umsetzung und Akzeptanz der Energiewende zu heben. Da Energiegemeinschaften sowohl im Strom- als auch im Wärmebereich umsetzbar sind, könnte potenziell der überwiegende Teil der Bürger:innen an Energiegemeinschaften teilhaben und davon profitieren.“

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Strategie etablieren, Engagement wertschätzen, Bürokratie abbauen

Mit einer Analyse aktueller politischer Prozesse und Learnings aus der Forschung zu Commons machen die Forschenden in ihrer Analyse deutlich, dass es eine übergreifende Strategie auf Bundesebene braucht. Diese sollte sowohl quantitative Ziele für Energiegemeinschaften festlegen, als auch den Rahmen schaffen, in dem sich gemeinschaftliche Modelle weiterentwickeln können. Ein Energiegemeinschaftsgipfel könnte ein geeigneter Raum sein, um Ziele und Strategie gemeinsam mit allen Akteuren zu diskutieren, meinen die Studienautoren.

„Gerade den regulatorischen Rahmen ändert die Politik bisher zu langsam und zögerlich. Es braucht mehr Mut, um Energiegemeinschaften als Säule im Energiesystem zu etablieren und den Bürger:innen zu signalisieren, dass ihre Beteiligung und ihr Engagement in der Energiewende erwünscht und notwendig sind“, erklärt der Ökonom Lars Holstenkamp von der Leuphana Universität Lüneburg. Bürokratische Hürden und komplexe Rahmenbedingungen setzten dem Engagement der Gemeinschaften aktuell Grenzen.

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Katharina Habersbrunner ist Vorständin beim Bündnis Bürgerenergie und Projektmanagerin für geschlechtergerechte Energiepolitik bei Women Engage for a Common Future (WECF)

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Um die Modelle noch mehr in die Breite zu tragen, fordern die Forschenden neutrale Informationsstellen, wie es sie etwa bereits in Österreich gebe. Auch sollten lokale Kooperationen zwischen etablierten Akteuren wie Stadtwerken und gemeinschaftlichen Modellen von Bürgern gefördert werden. So könnten Energiegemeinschaften nicht nur eine Möglichkeit für Bürgern sein, an der Energiewende teilzuhaben – auch die Transformation des Energiesystems insgesamt kann von der Akzeptanz, Stabilität und Finanzierung profitieren.

Innovationspotenzial von Bürgerenergiegemeinschaften heben

Um auch das Innovationspotenzial solcher Zusammenschlüsse zu stärken, fördert das Bundesforschungsministerium (BMBF) nun das neue Projekt CommunitE-Innovation. Ziel des Vorhabens von Bündnis Bürgerenergie, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und 100 Prozent Erneuerbar Stiftung sei es, eine bundesweite Bürgerenergie-Innovationscommunity aufzubauen, berichten die Macher. Auf diese Weise sollten die Akteure der gemeinschaftsgetragenen Energieversorgung stärker regional miteinander vernetzt werden.

„Unsere Vision ist es, das Innovationspotenzial von Bürgerenergiegemeinschaften zu heben und damit die Energiewende zu beschleunigen. Dafür wollen wir regionale Innovations-Ökosysteme gemeinschaftsgetragener Energieversorgung aufbauen und unterstützen“, erklärt Vorständin Lydia Takit, die das Projekt beim Bündnis Bürgerenergie koordiniert.

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Ziel des Projekts ist es, die bundesweite Bürgerenergie-Community so aufzubauen, dass sie als erste Anlaufstelle dient für alle Fragen rund um die Einführung neuer und die Stärkung etablierter Konzepte im Bereich der gemeinschaftsgetragenen Energieversorgung. „Wir erwarten, dass die dezentrale gemeinschaftsgetragene Energiewende dadurch neuen Schwung bekommt und maßgeblich dazu beiträgt, die Ausbauziele Erneuerbarer Energien zu erreichen“, so Energieexpertin Astrid Aretz vom IÖW. „Über wissenschaftliche Bedarfsanalysen tragen wir dazu bei, den notwendigen Rahmen für die erfolgreiche Umsetzung der Bürgerenergie zu setzen.“

Die aufzubauende Bürgerenergie-Community besteht aus einem kooperativen Netzwerk von Bürgerenergiegemeinschaften, wissenschaftlichen Einrichtungen und weiteren gesellschaftlichen Akteuren, berichtet das Bündnis Bürgerenergie. Der Fokus liege dabei auf neuen Organisationsmodellen als soziale Innovation im Energiebereich, die durch technische Innovationen – vor allem Erneuerbare Energien, Sektorenkopplung und Digitalisierung – sowie regulatorische Innovationen – wie gemeinschaftliche Gebäudeversorgung, Energy Sharing oder erneuerbare Wärmeversorgung – ermöglicht werden.

Zwei Community-Projekte vor dem Start

In dem Vorhaben können die Projektpartner Community-Projekte fördern, die konkrete Ideen umsetzen. Zwei Community-Projekte sollen kurz nach Vorhabenbeginn starten. Das erste dreht sich um gemeinschaftsgetragene Energieversorgung in Gebäuden und den Aufbau einer regionalen Kompetenz- und Beratungs-Community. Unter der Koordination des Netzwerks „Energiewende Jetzt“ werden zahlreiche lokale und regionale Innovations-Ökosysteme etabliert. Ausgehend von Rheinland-Pfalz und Thüringen sollen mit Unterstützung bestehender Bürgerenergiegemeinschaften neue Umsetzungsmodelle für gemeinschaftliche Gebäudeversorgung entwickelt, Gebäude-Energiegemeinschaften initiiert und erforderliche Beratungs- und Unterstützungsstrukturen aufgebaut werden.

Im Fokus des zweiten Community-Projekts, das vom Ecolog-Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung koordiniert wird, stehen die Innovations-Ökosysteme gemeinschaftsgetragener Energieversorgung. Darunter werden die Verknüpfungen von Akteuren, Aktivitäten, Technologien und Institutionen verstanden, die für die Innovationsleistung wichtig sind, berichten die Akteure. Mit dieser Perspektive solle untersucht werden, welche Formen des Eigentums, der Organisation, der Beteiligung oder Entscheidungsstrukturen für den Aufbau gemeinschaftsgetragener Energieversorgung sinnvoll sind, damit soziale und ökologische Ziele erreicht werden könnten. na

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