WasserstoffökonomieZwischen Erzeugung und Bedarf liegen große Strecken

Grassteppe, im Hintergrund Berge
Graslandschaft in der Provinz Alberta in Kanada: Eine Studie von Schweizer Forschenden hat untersucht, wo grüner Wasserstoff kostengünstig erzeugt werden kann. (Foto: Ben Turnbull auf unsplash+ / Unsplash Lizenz)

In welchen Regionen der Welt Wasserstoff kostengünstig hergestellt werden kann, wurde in einer Studie untersucht. Wind, Sonne und genügend Platz sind entscheidend. Auf die Restemissionen einer Wasserstoffökonomie gehen die Forschenden ebenfalls ein.

27.08.2024 – Forschende am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz (PSI) haben untersucht, wo auf der Welt am kostengünstigsten grüner Wasserstoff hergestellt werden kann. Zwei Faktoren sind dabei entscheidend: Wind- und sonnenreiche Orte, an denen sich der enorme Bedarf an Ökostrom für die Elektrolyse am effizientesten decken lässt und gleichzeitig genügend geeignetes Land zur Verfügung steht.

Kanada ist ideal, die Schweiz eher nicht

Unter anderem große Teile Kanadas zählen in der Analyse zu den am besten geeigneten Regionen für die künftige Wasserstoffproduktion. „Dort existieren viele freie Flächen, die sehr windig und daher ideal zum Aufstellen von Windturbinen sind. Noch dazu gibt es viel Wasser und stabile politische Verhältnisse“, fasst Erstautor Tom Terlouw zusammen.

Wenn man Wasserverfügbarkeit und stabile politische Verhältnisse unberücksichtigt lässt, bieten auch Prairielandschaften der USA gute Bedingungen sowie Teile Australiens, der Sahara, Nordchinas und Nordwesteuropas. Entweder weil es dort viel Sonne zur Produktion von Solarstrom gibt oder viel Wind und freie Fläche zum Aufstellen von Windenergieanlagen – und der Wasserstofffabriken.

Weniger gut zur Produktion eignen sich mitteleuropäische Industrieländer wie die Schweiz oder Deutschland, weil dort kaum verfügbare Flächen für Windräder vorhanden sind und die Sonneneinstrahlung relativ gering ist. Auch andere dicht besiedelte Regionen und Länder wie Japan oder weite Küstenabschnitte der USA und Chinas könnten nur zu vergleichsweise hohen Kosten produzieren. „Wir haben da also eine gewisse Diskrepanz festgestellt zwischen Regionen mit hohem Bedarf an Wasserstoff und Regionen mit großen, effizienten Produktionskapazitäten“, resümiert Terlouw.

Weltweiter Wasserstoffhandel verbraucht ebenfalls Energie

Länder und Regionen mit hohem Wasserstoffbedarf müssten eine Wasserstoffökonomie durch weltweiten Handel bewältigen, was allerdings weiteren Energieaufwand bedeutet – und politische Kooperation erfordert. Nicht zuletzt besteht der Aufwand darin, dass Wasserstoff in der Regel in gebundener Form – etwa als Ammoniak oder Methanol – transportiert wird. Denn als reines Gas nimmt er zu viel Volumen ein, und für seine deutlich kompaktere, flüssige Form muss er stark gekühlt werden.

Die ökologischen Kehrseiten grünen Wasserstoffs

Die im Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie betrachtet auch weitere ökologische Nebeneffekte einer möglichen Wasserstoffökonomie, die oft außer Acht gelassen werden. Zum einen werde auch eine funktionierende Wasserstoffökonomie noch Restemissionen an Treibhausgasen produzieren. Die Studie beziffert diese Restemissionen auf fast eine Gigatonne CO2-Äquivalenten pro Jahr. Aktuell bewegen sich die Gesamtemissionen um die 40 Gigatonnen. Die Klimawirkung ganz auf null zu reduzieren, wird nicht möglich sein.

Das liege vor allem daran, dass auch die Produktion und Verteilung von Wasserstoff mit Emissionen einhergeht. Zum einen geraten geschätzte 2,5 Prozent des Wasserstoffs durch Lecks und Undichtigkeiten in die Atmosphäre, wo der Wasserstoff indirekt selbst als Treibhausgas wirkt. Denn er fördert die Bildung effektiver Treibhausgase wie Methan und Ozon. Zum anderen weisen Elektrolysesysteme sogenannte graue Emissionen auf, welche bei der Herstellung und dem Transport der benötigten Materialien anfallen, selbst wenn die fertigen Anlagen letztlich mit Ökostrom betrieben werden.

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„Viele Anlagen und Maschinen, die in der Wasserstoffökonomie zum Einsatz kommen, werden in Ländern hergestellt, deren Produktion auch in absehbarer Zeit noch zu großen Teilen auf fossilen Energieträgern basiert“, berichtet Terlouw. Wer das Ziel der Klimaneutralität ernst meint, muss solche Restemissionen ausgleichen, indem entsprechende Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre gefiltert werden.

Kritische Materialien

Auch weitere Umwelteffekte einer Wasserstoffökonomie jenseits des Klimas sollten laut Terlouw und seinem Team Beachtung finden: In den Maschinen und Anlagen finden diverse Materialien Verwendung, die entweder selbst umweltschädlich sind oder deren Produktion die Umwelt belastet. In Windturbinen sind das etwa Dauermagnete, die auf Seltenen Erden basieren, also Metallen, deren Gewinnung in China nicht den europäischen Umweltstandards genügt. Bei der PEM-Elektrolyse kommt als Katalysator das Metall Iridium zum Einsatz, das allein schon wegen seiner Seltenheit als kritisch gilt. Und die großen Mengen an Land und Wasser, die für die Herstellung von Wasserstoff benötigt werden, können ebenfalls einen negativen Umweltfaktor darstellen.

„Nicht zuletzt stellt sich da die große Frage der sozialen Akzeptanz“, gibt Tom Terlouw zu bedenken. „Werden die Menschen akzeptieren, dass Küstenlandschaften von großen Wasserstoffproduktionsanlagen eingenommen werden?“ In wasserarmen Gebieten müsste das Meerwasser vor der Elektrolyse zunächst entsalzt werden, was zusätzliche Energie und Land erfordert. Solche Faktoren wurden in dieser Arbeit noch nicht berücksichtigt. Dazu sollen weitere Studien folgen.

Zukünftige Wasserstoffmengen

Jährlich werden derzeit rund 90 Megatonnen Wasserstoff produziert. Dabei dominiert noch die sogenannte Methan-Dampf-Reformierung, bei der das Element unter Druck und Hitze aus Erdgas, Erdöl oder Kohle – also fossilen Energieträgern gewonnen wird. Je nach Szenario wird den Forschenden des PSI zufolge der Wasserstoffbedarf im Jahr 2050 zwischen 111 und 614 Megatonnen betragen. Im ersten Szenario macht die Welt weiter wie bisher und verlässt sich auf fossile Energieträger. Im vierten und optimistischsten Szenario betreibt sie konsequenten Klimaschutz.

Die optimistischeren Szenarien gehen davon aus, dass statt der Wasserstoffgewinnung aus fossilen Energieträgern zunehmend PEM-Elektrolyseure zum Einsatz kommen, Apparate, die mit Strom und einer Polymer-Elektrolyt-Membran Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Wenn dafür nur grüner Strom aus erneuerbaren Quellen verwendet wird, läuft das Verfahren ohne fossile Energieträger. Es verursacht bis zu 90 Prozent weniger Treibhausgase als die Methan-Dampfreformierung. pf

Kommentare

Gregor vor 3 Wochen

Ich finde auch, dass diese hässliche Graslandschaft in der Provinz Alberta in Kanada auf dem Beispielbild dringend mit Windrädern, PV-Freiflächenanlagen und Industrieanlagen zur Herstellung von Wasserstoff verschönert werden sollte.

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