Energiewende SchweizStromgesetz nimmt Netzbetreiber und Energieversorger in die Pflicht

Staumauer am Lago del Narèt in der Schweiz
Strom aus Wasserkraft spielt für die Energiewende der Schweiz eine große Rolle. (Foto: Plattens auf Wikimedia / CC BY-SA 3.0)

Mit großer Mehrheit haben die Menschen in der Schweiz das von Regierung und Parlament verabschiedete Stromgesetz in einem Referendum bestätigt. Diese Abstimmung gilt als klare Bestätigung der Energiestrategie des Alpenlandes.

18.07.2024 – Die Energiewende in der Schweiz hat neuen Rückenwind, getragen von fast 70 Prozent der Bevölkerung. Die 2017 festgelegten Ausbauziele und Förderungen näherten sich ihrem Ablaufdatum. Um Unsicherheiten zu vermeiden, brauchte es neue bzw. verlängerte Regelungen. Nun stehen Verteilnetzbetreiber und Energieversorger vor der Herausforderung, die neuen Vorgaben schnellstmöglich umzusetzen, wobei viele Regelungen bereits ab Januar 2025 in Kraft treten werden.

Das Bundesgesetz zur sicheren Stromversorgung durch erneuerbare Energien umfasste als Mantelerlass die Revision von vier bestehenden Bundesgesetzen: das Energiegesetz (EnG), das Stromversorgungsgesetz (StromVG), das Raumplanungsgesetz (RPG) und das Waldgesetz (WAG). Die umfassend notwendigen Verordnungsanpassungen sollen im Herbst dieses Jahres finalisiert werden. Eine ausführliche Beschreibung hat das Beratungsunternehmen EVU Partners veröffentlicht.

Verbindliche Erneuerbare Ziele bis 2035 und 2050

Eines der Kernanliegen der Revision des Energiegesetzes (EnG) waren die Zubauziele für erneuerbare Energie im Inland sowie deren Beitrag zur Produktion im Winterhalbjahr. Beschlossen wurden verbindliche Ziele für 2035 und 2050 und 16 konkrete Wasserkraftprojekte, davon 15 mit Speicher, mit vereinfachten Genehmigungsvorgaben im nationalen Interesse. Erneuerbare Energien ohne Wasserkraft sollen in der Erzeugung einen Beitrag von 35 TWh bis 2035 schaffen (2050: 45 TWh).

Die Nettoproduktion der Wasserkraft soll trotz steigenden Restwassermengen bis 2035 auf rund 38 TWh steigen, eine weitere Steigerung bis 2050 ist nicht vorgesehen. Auch der Elektrizitätsverbrauch soll sinken und das Gesetz nennt Ziele: Pro Person und Jahr sollen bis 2035 im Vergleich zum Jahr 2000 13 Prozent weniger Strom verbraucht werden, bis 2050 sollen es noch einmal 5 Prozent weniger sein. Der Energieverbrauch – also Strom, Wärme und Kraftstoffe – pro Person und Jahr soll bis 2035 um 43 Prozent reduziert werden, bis 2050 um 53 Prozent.

Veränderte Preis- und Förderregeln

Die Förderung der Erneuerbaren in Form von Einmalvergütungen und Investitionsbeiträgen wird um das Modell der gleitenden Marktprämie erweitert. Das Modell basiert ähnlich wie in anderen europäischen Ländern auf der Direktvermarktung und einer Prämienzahlung, welche je nach Anlagengröße, Standortbedingungen und Erzeugungsart variiert.

Eine Anpassung erfolgt bei der Vergütung des dezentral in die Verteilnetzes eingespeisten Stroms. Die Abnahme- und Vergütungspflicht bleibt beim Verteilnetzbetreiber, dem Grundversorger. Jedoch wird die Mindestvergütung neu schweizweit harmonisiert. Neu erhalten Produzenten ohne andere Vermarktung eine Vergütung zum Spotmarktpreis, welcher quartalsweise gemittelt und ausbezahlt wird. Je nach Anlagenart und Grösse gilt für PV-Anlagen dabei eine Untergrenze. Die Herausforderung dabei besteht im Zeitpunkt der Beschaffung: hatten bisher viele Versorger ihre durchschnittlichen Beschaffungskosten als Basis verwendet, die Preissprünge innerhalb eines Zeitraums nivelliert haben, kommt nun ein kurzfristiger Spotpreis zur Anwendung. Entsprechend ist eine Preissenkung zu erwarten, deren Folgen für den Solarzubau aktuell noch unklar sind.

Stromlieferanten sollen Stromsparmaßnahmen unterstützen

Ganz neu sind Stromeffizienzvorgaben für die Lieferanten, welche Schweizer Endkund:innen mit Strom beliefern. Bis 2035 sollen per Gesetz mit Hilfe von Effizienzmaßnahmen 2 TWh Strom eingespart werden. Auf alle Stromlieferanten, einschließlich der Grundversorger, kommt ein komplett neues Regelwerk mit Effizienzaufgaben zu. Sie erhalten nun Zielvorgaben, die darauf abzielen, die Energieeffizienz bei bestehenden elektrischen Geräten, Anlagen und Fahrzeugen bei Endverbrauchern zu steigern. Sollten die Lieferanten diese Zielvorgaben nicht selbst erfüllen können, müssen oder können sie schweizweit entsprechende Nachweise erwerben, wodurch ein Markt für sogenannte weiße Zertifikate entstehen soll. In der Branche positionieren sich erste Player und planen auch die Etablierung einer Handelsplattform.

Grundversorgung strenger reguliert, Vorgaben für EE-Anteile im Strommix

Neue Regeln gibt es darüber hinaus in der Grundversorgung. Diese ist und bleibt in der Schweiz vorderhand kostenbasiert reguliert und gilt für alle Kunden unter 100.000 kWh. Nur Kunden mit mehr als 100.000 kWh Jahresverbrauch können ihren Lieferanten frei wählen. An dieser Teilmarktöffnung ändert sich bis zu einem Abschluss des in Verhandlung befindlichen Stromabkommens mit der EU nichts.

Neu wird die Grundversorgung deutlich strenger reguliert, zu stark waren die Preisschocks durch falsche oder schlechte Beschaffungsentscheide der Grundversorger im Sog der Energiekrise. Neu muss die Beschaffung für die Grundversorgung konsequent von der Beschaffung für Marktportfolien getrennt werden. Zusätzlich müssen im Strommix der Grundversorgung bestimmte Mindestmengen aus erneuerbarer Inlandsproduktion enthalten sein. Grundversorger mit Eigenproduktion müssen mindestens 50 Prozent dieser Mengen in der Grundversorgung zu Gestehungskosten einbringen.

Darüber hinaus muss die ganze Grundversorgung einen Mindestanteil von 20 Prozent aus erneuerbarer Inlandproduktion aufweisen. Wird dieser Anteil nicht durch eigene Anlagen, Beteiligungsenergie oder dezentrale Einspeisungen erreicht, müssen zusätzliche Mittel- oder Langfristverträge über inländische erneuerbare Energien abgeschlossen werden. Diese Verträge sollen eine Laufzeit von mindestens drei Jahren haben, um den Produzenten von erneuerbaren Energien eine sichere und planbare Einnahmequelle zu bieten.

Der Mantelerlass enthält zahlreiche weitere Regelungen zum Messwesen, zu den Netzentgelten, zur Flexibilität und ermöglicht neu mittels lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) auch den Peer-to-Peer-Handel innerhalb von Gemeinden. Petra Franke

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