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Meinung 01.02.2021

Darum braucht es einen Klima-Bürger*innenrat für Deutschland

Die Klimaerhitzung ist ein disruptiver Eingriff in unsere Gesellschaft, wir müssen unser Leben ändern. Aber das geht nur, wenn wirklich alle mitziehen. Dazu braucht es keine Verbote von oben, sondern wir Bürger*innen müssen selbst mitentscheiden dürfen, wie unsere Zukunft aussieht. Deshalb brauchen wir einen Klima-Bürger*innenrat.

Lino Pott von der Initiative Klima-Mitbestimmung JETZT


Meinung 01.02.2021

Darum braucht es einen Klima-Bürger*innenrat für Deutschland

Die Klimaerhitzung ist ein disruptiver Eingriff in unsere Gesellschaft, wir müssen unser Leben ändern. Aber das geht nur, wenn wirklich alle mitziehen. Dazu braucht es keine Verbote von oben, sondern wir Bürger*innen müssen selbst mitentscheiden dürfen, wie unsere Zukunft aussieht. Deshalb brauchen wir einen Klima-Bürger*innenrat.

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Lino Pott von der Initiative Klima-Mitbestimmung JETZT



01.02.2021 – 2018 hat die Bundesregierung das Klimaschutzprogramm zur Erreichung unserer Klimaziele bis 2030 verabschiedet. Ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten macht allerdings deutlich, dass die im Klimaschutzprogramm verankerten Maßnahmen nicht ausreichen, um die angestrebten Klimaziele zu erreichen. In der Form, wie das Klimapaket verabschiedet wurde, wurde allerdings darauf geachtet die Bürger*innen nicht zu sehr mit Verboten einzuschränken.

Ohne weitreichenden Klimaschutz, der nur die extremen Varianten des heutigen Liberalismus verunmöglicht, sind die meisten Freiheiten, die wir heute noch genießen können (was allein schon unser Recht zu Leben einschließt), nicht mehr gesichert.

Es ist eine politische Gradwanderung in schwierigen Zeiten. Denn wir sind umgeben von Veränderungen. China ist auf dem Weg die neue Weltmacht zu werden, wenn sie es nicht schon ist. Die Digitalisierung schreitet voran und die Globalisierung mixt die Gesellschaften weltweit neu. Social-Media prägt, was wir denken, und populistische Bewegungen nutzen diese Plattformen, um durch Spaltung der Gesellschaft an Macht zu gewinnen. Dazu kommt noch die Klimaerhitzung.

Wie umgehen mit einer Welt, die aus den Fugen gerät, mit drängenden Zukunftsfragen und Werteentscheidungen?

Klar, unser Bundestag ist das Herz der Demokratie und der rechtmäßige Ort aller demokratischen Entscheidungen. Aber kann in den politischen Debatten dort die Breite der gesellschaftlichen Perspektiven abgebildet werden, wenn das Parlament die Bevölkerung in ihrer Zusammensetzung beispielsweise im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Bildung oder finanziellem Status kaum repräsentiert? Welche Sichtweisen gehen dort möglicherweise eher unter und welche Chance verspielen wir, wenn wir uns nicht fragen, wie diese Stimmen Gehör finden können?

Im Klimaschutz müssen Maßnahmen umgesetzt werden, die von einer Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden können. Die sowohl den Vielflieger-Manager*innen, den Bewohner*innen in der Stadt und auf dem Land, der Großfamilie, den Alleinerziehenden und den Sozialempfänger*innen gerecht werden und nicht deren soziale Ungleichheit fördern. Zudem gibt es einige Gruppen, die durch den Wandel besonders betroffen sind. Zum Beispiel Beschäftigte in der Kohleförderung und alle anderen, deren Job nicht mit der Dekarbonisierung in Einklang zu bringen ist. Für uns alle braucht es Konzepte, die jedem gleichermaßen eine lebenswerte Zukunft ermöglichen.

Wie können wir es also schaffen unser Land voranzubringen, ohne dass einzelne Bürger*innen benachteiligt werden?

Durch Mitbestimmung. Jeder muss an der gemeinsamen und damit der eigenen Zukunft mitwirken können. Natürlich ist dies bei über 80 Millionen Bürger*innen schwierig. Deshalb brauchen wir einen Rat, dessen Mitglieder möglichst die gesamte Breite der gesellschaftlichen Perspektiven und Alltagserfahrungen abbilden.

Dieser könnte dann stellvertretend für alle Bürger*innen Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten. Diese Empfehlungen können dann eine Grundlage der strategischen Ausrichtung der Regierung für die Zukunft bilden und es den Politiker*innen erleichtern, diese Maßnahmen umsetzen, ohne medial kritisiert zu werden und die nächste Wiederwahl zu gefährden. Wir brauchen einen Bürger*innenrat zur Klimapolitik.

Ein Bürger*innenrat ist ein temporäres Gremium, in dem ca. 150 zufällig ausgewählte Menschen über mehrere Wochenenden hinweg von unabhängigen Expert*innen zu einer konkreten Fragestellung umfassend informiert werden, miteinander diskutieren und anschließend Handlungsempfehlungen für die Politik formulieren. Die wissenschaftlichen Vorträge zu Beginn eines Bürger*innenrats garantieren informierte Entscheidungen und die moderierten Diskussionen danach stärken den Blick für das Allgemeinwohl.

Während sich in anderen Formen der Bürger*innenbeteiligung oftmals nur bestimmte Bevölkerungsgruppen einbringen - z.B. jene, die sich das Engagement zeitlich und finanziell leisten können - spiegelt ein Bürger*innenrat durch seine mehrstufige Zufallsauswahl die Vielfalt unserer Gesellschaft wider.

In dieser Zufallsauswahl werden zunächst ca. 30.000 Bürger*innen kontaktiert, ob sie sich eine Teilnahme vorstellen könnten. Aus den Zusagen wird dann das Gremium zusammengestellt. Hier gilt es ein möglichst repräsentatives Abbild der Gesamtbevölkerung zu erzielen. Dabei werden Aspekte wie Demographie, Bildungsstand, Berufsfeld, Wohnort, Familienstand und auch die politische Einstellung berücksichtigt. Durch die für den konstruktiven Austausch erforderliche kleine Stichprobe von maximal 150 Teilnehmer*innen ist es natürlich nicht möglich ein perfekt repräsentatives Gremium abzubilden. Jedoch sollte es für jeden möglich sein, sich von den Meinungen und Hintergründen der Teilnehmer*innen repräsentiert zu fühlen.

Für den Erfolg des Klima-Bürger*innenrates ist es wichtig, dass der gesamte Prozess transparent gestaltet wird.

Nur wer versteht, warum der Klima-Bürger*innenrat so entschieden hat, wird die Handlungsempfehlungen auch akzeptieren und unterstützen können. Auch für die Politik ist Transparenz für das bessere Verständnis der Sorgen und Wünsche der Bürger*innen wichtig, um die Zukunft des Landes danach ausrichten zu können.

Denn am Ende entscheidet immer noch der Bundestag. Denn aus derzeitiger verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht möglich, einen Bürger*innenrat mit Entscheidungsgewalt im Gesetzgebungsprozess auszustatten. Dennoch kann er eine bedeutende Rolle für den anstehenden Transformationsprozess einnehmen, da er eindeutig signalisiert, welche Maßnahmen eine gut informierte Stichprobe für eine sozial gerechte und lebenswerte Zukunft treffen würde. Er gibt den politischen Vertreter*innen also Rückenwind für Entscheidungen, die über ihr zeitlich begrenztes Mandat hinaus wirken.

Eine Nichtbeachtung käme einem Vertrauensverlust in die Politik gleich und kann nur durch nachvollziehbare Begründungen toleriert werden. Hierfür wäre eine Sitzung möglich, bei der sich der Bundestag einige Zeit nach Ende des Bürger*innenrates den Fragen der Ratsmitglieder stellen muss. Dies gibt den Politiker*innen die Chance sich zu erklären, aber auch Lob für ihre Umsetzung zu erhalten. Mit dieser gegenseitigen Wertschätzung kann das Verhältnis zwischen Politik und Bürger*innen gestärkt werden.

Beispiele für den Erfolg von (Klima-)Bürger*innenräten liefern Großbritannien (2020), Frankreich (2018) und Irland (2012), wo nach einem langen Dissens in der Bevölkerung sogar die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe und das Recht auf Abtreibung auf den Weg gebracht wurden. Auch Spanien hat angekündigt ein solches Gremium in Kürze einzuberufen. Bürger*innenräte leisten nicht nur einen Beitrag zur Politik, sondern auch zur Gesellschaft. Es gibt viele Berichte über Politikverdrossene, die durch ihre Teilnahme aufblühen, offener für andere Meinungen werden und die Arbeit der Politiker*innen höher wertschätzen.

Bis ein Klima-Bürger*innenrat in Deutschland einberufen wird, ist es allerdings noch ein weiter Weg.

Dass wir ihn brauchen, steht für mich außer Frage. Dass es viele gibt, die dies ähnlich sehen, zeigt sich spätestens nach unserer 69.863-mal unterzeichneten Petition zur Einberufung ebendieses. Der Petitionsausschuss hat sich gerade erst am 25. Januar 2021 unsere Forderungen angehört und berät aktuell über den weiteren Umgang der Petition. Im besten Fall übermittelt der Ausschuss die Petition mit einer positiven Beschlussempfehlung dem Plenum des Bundestages oder beschließt, die Fraktionen im Bundestag auf die Petition „besonders aufmerksam“ zu machen.

Unsere Petition lief parallel zu einer Initiative der Scientists for Future, die der Zivilgeschellschaft aufgrund der drängenden Zeit empfahlen, einen Klima-Bürger*innenrat selbstständig noch in dieser Legislaturperiode zu organisieren. Ob über den Weg des Bundestages oder zivilgesellschaftlich organisiert, letztlich sind es die Parteien des Bundestags, die darüber entscheiden, ob sie einen Klima-Bürger*innenrat unterstützen.

Um dies zu erreichen und im Falle einer ausbleibenden positiven Empfehlung des Petitionsausschusses vorbereitet zu sein, setzen wir als Klima-Mitbestimmung JETZT uns dafür ein, ein breites Bündnis innerhalb der Fraktionen aufzubauen. Bereits vor der Sitzung des Petitionsausschusses hatten einige Mitglieder stellvertretend für ihre Parteien Gesprächsbereitschaft angekündigt. In diesen Dialogen wollen wir Zweifel ausräumen, über gegenseitige Erwartungen sprechen und die Möglichkeiten gegenseitiger Unterstützung in diesem Prozess erörtern.  

Der Prozess der Einberufung des zivilgesellschaftlichen Klima-Bürger*innenrates kommt von den Bürger*innen, muss aber auch den politischen Anforderungen gerecht werden. Klima-Mitbestimmung JETZT setzt sich für eine Ausgestaltung ein, die beide Seiten vollumfänglich zufriedenstellt und wir noch vor der nächsten Wahlperiode den Klima-Bürger*innenrat mit politischem Mandat durchführen können.

Kommentare

Thomas Bartsch Hauschild am 02.02.2021

Buergerrat und Mitbestimmung Jetzt

bleibt unklar welche Art und Form von Entscheidungen der Mitbestimmung ausserhalb von bestehenden Umwelt und Energie Gesetze , jedem einzelnen Bürger eine direkte Handlungsbeteiligung als Freiraum von effektiver Gestaltungsfreiheit zu gestanden wird.

Diese Frage ist von zentraler Bedeutung für eine wirksame Bürgerentscheidung, die nicht nur auf einem Papier steht.

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