Foto: Energiewerk Rügen

Nachgefragt 22.05.2021

Frischer Wind auf Rügen

Vor anderthalb Jahren haben Dirk Niehaus und Heike Balzer eine Energiegenossenschaft auf der Insel Rügen mitgegründet. In kurzer Zeit konnte die Genossenschaft eine Solaranlage in Betrieb nehmen, einen regionalen Stromtarif entwickeln und an einem bundesweiten Wasserstoff-Projekt erfolgreich teilnehmen. Neue Projekte im Bereich Sektorenkopplung sind in Planung.

Dirk Niehaus und Heike Balzer, Vorstand der Energiewerk Rügen eG


Nachgefragt 22.05.2021

Frischer Wind auf Rügen

Vor anderthalb Jahren haben Dirk Niehaus und Heike Balzer eine Energiegenossenschaft auf der Insel Rügen mitgegründet. In kurzer Zeit konnte die Genossenschaft eine Solaranlage in Betrieb nehmen, einen regionalen Stromtarif entwickeln und an einem bundesweiten Wasserstoff-Projekt erfolgreich teilnehmen. Neue Projekte im Bereich Sektorenkopplung sind in Planung.

Foto: Energiewerk Rügen

Dirk Niehaus und Heike Balzer, Vorstand der Energiewerk Rügen eG



Wie lässt sich die Erfolgsgeschichte auf Rügen erklären? „Man braucht eine Gruppe von Menschen, die sich gut verstehen, muss Spaß haben an den Prozessen und eine klare Vision transportieren“, sagen die Rügener. Angefangen hat es mit einem kleinen Kreis von Bürgern, die gemeinsam diskutierten, wie sie auf der Insel leben wollen. Daraus hat sich eine Arbeitsgruppe und dann eine Zukunftswerkstatt entwickelt. Heike Balzer und Dirk Niehaus waren von Anfang an dabei.

Heike, Dirk, wie habt ihr es geschafft, andere Menschen für solch ein Projekt zu begeistern?

Heike: Es gab hier auf der Insel ein Bedürfnis, sich mit Zukunftsthemen auseinanderzusetzen: Klimawandel, Energie- und Verkehr, Sektorenkopplung, unsere individuelle Verantwortung – alles Themen, die eine größere Gruppe von Menschen auf der Insel Rügen bewegt haben. Insofern mussten wir zu Anfang andere Menschen erst einmal nicht unbedingt inspirieren. Interessant wird das Ganze aber dann in der Verstetigung. Die Frage ist also vielleicht eher die, wie es gelingt, diese Anfangsimpulse über einen längeren Zeitraum zu nähren und dazu beizutragen, dass konkrete Projekte umgesetzt werden. Eine Antwort darauf ist sicherlich eine offene und ehrliche Kommunikation. Ich sehe unsere Arbeit immer als Kreisbild: In der Mitte ist ein Zentrum, welches das Feuer stets am Lodern hält. Wir haben Glück, dass es in unserem kleinen Kreis selten zu Missverständnissen kommt und wir offen miteinander sprechen können, wenn etwas schiefläuft. Mit der Zeit sind dazu immer mehr Interessierte gekommen, die ihre Ideen teilen und uns Feedback geben.

Warum habt ihr euch für die Gründung einer Energiegenossenschaft entschieden?

Heike: Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir sehr viel darüber reden, was sich hier auf der Insel verbessern sollte, aber nicht in die Umsetzung kamen. Deshalb entschieden wir uns dafür, eine Genossenschaft zu gründen, um unsere Ideen in die Praxis umzusetzen. Wir hatten das Glück, von der Genossenschaft Inselwerk Usedom große Unterstützung zu erfahren. Die Kolleginnen und Kollegen dort waren unendlich wichtig für uns. Sie haben mehrere Sitzungen moderiert und uns einen Rechtsanwalt empfohlen, der mit uns die Satzung unserer Genossenschaft erarbeitet hat. Damals hatten wir das Gefühl, dass auf West-Rügen ein frischer Wind weht.

Könnt ihr uns verraten, wie ihr euch und andere zu ehrenamtlicher Arbeit motiviert?

Dirk: Man muss es natürlich mit Freude machen, und die Freude kommt einfach aus den Prozessen heraus. Die Tatsache, dass man hier etwas verändern kann, wie zum Beispiel gemeinsam eine Solaranlage zu bauen, ist ein großartiges Gefühl.

Ihr habt letztes Jahr im bundesweiten Programm HyStarter teilgenommen. Was ist das Ziel des Projektes?

Dirk: Ziel des Projektes war es aufzuzeigen, wie aus regenerativem Strom erzeugter Wasserstoff in der Region nutzbar gemacht werden kann und wir Interessierte aus der Region zusammenbringen.

 

Heike: Rügen-Stralsund wurde als eine von neun Regionen im gesamten Bundesgebiet für das Projekt HyStarter ausgewählt. Wir haben im Prinzip die erste Stufe mitgemacht und würden uns gerne jetzt für die zweite Stufe bewerben. Dabei geht es darum, konkret zu schauen, wie die Produktion aussehen könnte, und wie sich das Henne-Ei-Problem lösen lässt: Natürlich ist es möglich, mit den technischen Voraussetzungen, die wir jetzt haben, Wasserstoff zu produzieren – aber der muss auch abgenommen werden. Das eine funktioniert nicht ohne das andere, aber was kommt zuerst?

Dirk: Uns wäre es wichtig, dass wir den Wasserstoff direkt vor Ort verwenden können, Stichwort: Schwerlast-Mobilität, also Nutzfahrzeuge wie Busse, LKWs, Traktoren und hier im Küstenbereich natürlich maritime Anwendungen wie Schifffahrt.  

Das wäre dann Teil eurer Verkehrswende-Strategie für Rügen? Was plant ihr außerdem im Bereich Verkehr?

Heike: Bevor wir die Genossenschaft gegründet haben, hatten wir uns überlegt, wie wir dazu beitragen können, die Verkehrsbelastung auf Rügen allgemein zu reduzieren. Damals, also noch vor Corona, ist die Idee einer Mitfahr-App entstanden.

Dirk: Wir haben auch angefangen an einem Projekt zu arbeiten, das es ermöglichen würde, am Bahnhof Elektroautos mit einer App zu mieten und sie dann irgendwo auf der Insel abzustellen. Andere Nutzer der App würden die Autos zurückfahren. Alle Ideen sind durch Corona jetzt gebremst, aber wir werden weiter daran arbeiten.

Ihr bietet in Zusammenarbeit mit dem Öko-Energieversorger NATURSTROM einen eigenen, regionalen Stromtarif an. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Dirk: Für uns war der gute persönliche Kontakt ausschlaggebend. Die sachlichen Argumente spielen eine wichtige Rolle, aber wir legen auch besonderen Wert auf das Zwischenmenschliche.

Dirk, du betreibst neben der Genossenschaft einen eigenen 3,5 MW-Solarpark. Wie bewerkstelligt ihr den Betrieb?

Dirk: In diesem Fall ist es von Vorteil, dass ich direkt neben der Anlage wohne. Der Hersteller unserer Wechselrichter hat uns vermutlich minderwertige Bauteile eingebaut, die Wechselrichter sind uns bereits nach kurzer Betriebszeit um die Ohren geflogen. Der Hersteller ist dann auch noch pleitegegangen. Damit war unsere Garantie hinfällig. Wir mussten den Schaden also selbst reparieren. Aufgrund des Fachkräftemangels dauert es sehr lange, bis ein sachkundiger Elektriker kommt. Wir mussten uns selbst helfen und haben gelernt, qualifiziert Geräte zu reparieren oder zu tauschen.

Unter euren PV-Modulen grasen Schafe. Wie funktioniert die Schafbeweidung im Solarpark?

Dirk: In jedem Fall eine Win-win-Geschichte. Die Pflege der Anlage, insbesondere unter den Modulen, ist ohne Tiere sehr arbeitsaufwändig. Die Tiere halten den Aufwuchs kurz, allerdings ist die Gesundheitskontrolle der Schafe dafür sehr schwierig. Man sieht sie meist nicht. Sie grasen unter den Modulen. Seit wir Border Collies haben, die uns dabei helfen, die Schafe zu sammeln, funktioniert es bestens. Wir schicken einen Hund los und der treibt alle Schafe zusammen. Vorher haben wir das mit acht Leuten und Kindern versucht. Kaputt machen die Schafe nie etwas. Sie haben noch keinen einzigen Wechselrichter zerstört, kein Kabel weggerissen und kein Modul beschädigt.

Was wollt ihr dieses Jahr noch erreichen?

Dirk: Wir möchten uns für die zweite Phase des HyStarter Programms bewerben und hoffen sehr, dass wir weiter daran arbeiten können, auf Rügen nachhaltigen Wasserstoff zu produzieren und zu vermarkten.

Heike: Unser Stromtarif inselstrom Rügen ist uns auch sehr wichtig. Hier wollen wir bis Ende dieses Jahres durch gezielte Information und Werbung möglichst viele Menschen für einen Wechsel zum inselstrom Rügen gewinnen. Im Idealfall würde dies dazu führen, dass in den nächsten Jahren vielleicht weniger kostenintensive Werbung notwendig wird, weil die Mund-zu-Mund Information der Rüganer den inselstrom bekannt macht.

Was ist eure Vision für die Zukunft?

Dirk: Wir glauben an eine intakte und nachhaltige Gesellschaft. Ich will mit gutem Gewissen sagen können, dass ich alles, was ich tun konnte, auch getan habe.

Heike: Wir sind jetzt in der Verantwortung. Wenn man etwas bewegen will, dann geht es nur mit anderen Menschen. So wollen wir es auch zukünftig halten und unsere Kreise stetig erweitern.

Heike, Dirk, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Urszula Papajak.

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