EnergiewendeVorsicht an der Bahnsteigkante

Ein Mann in Anzug redet auf einer Bühne vor Publlikum
Appelliert an soziale Belange – Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (Foto: Bundesverband Erneuerbare Energien)

Beim Sommerempfang der Erneuerbaren Energien erinnern Spitzenkräfte aus Politik und Branche an die Integrität eines Klaus Töpfers, feiern Erfolge der Wind- und Solarindustrie und mahnen zugleich Maßnahmen für gesellschaftlichen Zusammenhalt an.

05.07.2024 – Wie eine graue Eminenz und Reminiszenz an Zeiten, in denen es noch um politische Inhalte ging und nicht um populistische Anfeindungen, schwebte der kürzlich verstorbene Klaus Töpfer über dem BEE-Sommerfest. „Die politische Integrität dieses Mannes ist fast altmodisch in dieser Zeit. Und wenn Integrität altmodisch wird, dann hat eine Gesellschaft ein Problem“, so Robert Habeck auf dem Sommerempfang des Bundesverband Erneuerbare Energien. Der CDU-Mann Töpfer habe, ohne in Parteigeplänkel zu verfallen, mit großer Geste dafür gesorgt, dass Nachhaltigkeitsthemen von der Breite der Gesellschaft getragen werden.

„Man darf die wichtigen Themen unserer Zeit nicht als frontales politisches Gezänk denken, sondern über ausgefeilte Konzepte diskutieren“, sagte Habeck weiter. Aber wenn man sich den Mechanismus anschaue, wie Antidemokraten arbeiten, dann sehe man wie sie insbesondere bei der Energiepolitik mit Überspitzungen und Falschbehauptungen arbeiten, anstatt im Töpferschen Sinne rational zu denken. Habeck verwies dazu auf die Debatte um vermeintliche Abhängigkeiten durch Stromimporte aus dem Ausland.

„Die betragen ungefähr zwei Prozent netto. Nichts, was wir nicht selbst herstellen können. Aber das scheint das große Thema unserer Zeit zu sein. Sind wir in eine Abhängigkeit geraten, weil wir zwei Prozent Strom importieren? Verschweigen wir, dass wir Öl zu 100 Prozent importieren, dass wir Steinkohle zu 100 Prozent importieren, dass wir Gas zu fast 100 Prozent importieren?“, so Habeck sichtlich empört auf dem Podium. Erst der Ausbau von Erneuerbaren Energien und Abkehr von fossilen Brennstoffen bedeute Freiheitsgewinn. Dabei brauche es auch mehr Resilienz im Erneuerbaren Sektor und Ausbau der heimischen Produktion, insbesondere von Wind und Solarkraft. Der deutsche Resilienzbonus ist zwar vorerst gescheitert, Habeck baut aber auf die europäische Einigung zum Net-Zero-Industry-Act.

Wind- und Solarenergiebranche stehen indes so gut da, wie schon lange nicht mehr. Neben Habeck wurden auch BEE-Präsidentin Simone Peter und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nicht müde dies auf dem Podium des Sommerfestes zu betonen. „Seit dieser Woche haben wir es Schwarz auf Weiß, dass die Erneuerbaren nun 59 Prozent der Stromerzeugung ausmachen“, sagte Peter mit Verweis auf die Zahlen des Fraunhofer ISE. So viel wie nie zuvor in einem Halbjahr. Besonders steigern konnten ihren Anteil die Photovoltaik und die Wasserkraft. Die Windkraft verzeichnet ebenso Zuwächse und bleibt die mit Abstand ertragsreichste Erzeugungsart.

Mehr zum Thema

Morgenstimmung, PV-Anlage und Windkraftanlagen
Stromerzeugung 1. Halbjahr 2024

Erfolge und offene Flanken der Energiewende

Die Halbjahresbilanz ist beachtlich. Erneuerbare Energien erreichten einen Rekordanteil bei der Stromerzeugung. Netzausbau und Digitalisierung müssen nun ebenso dynamisch voranschreiten. Außerdem gilt es, Verkehr und Wärme zu dekarbonisieren.

Zudem verwies Peter auf weitere Erfolge, wie die in Fachkreisen so wichtige Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes, mit der eine deutliche Beschleunigung von Windenergieprojekten einhergehen soll, die aber in der breiteren öffentlichen Debatte wenig Aufmerksamkeit fand. „Wir erleben seit zwei Jahren, dass mit diesem Wirtschaftsminister die Energiewende wieder auf eine Weise auf den Weg gebracht wurde, wie wir es lange nicht erlebt haben.“ Da gelte es einfach mal Danke zu sagen.

Peter mahnte aber auch anstehende Hausaufgaben an. Das für die Erneuerbaren Branche so wichtige Thema eines flexibleren Stromsystems kam nicht zu kurz. „Die entscheidende Frage bei der Förderung von neuen Kraftwerken muss sein, ob sie fähig sind, ihre Erzeugung der aktuellen Einspeisung erneuerbarer Energien anzupassen“, zitierte Peter eine Forderung des BEE von 2011. Das gelte damals wie heute. Bei Biogas-Anlagen etwa brauche es eine Mengen- statt einer Zeitförderung, sodass diese nicht mehr Strich durch Laufen, sondern rentabler ist, dass sie sich der Einspeisung von Wind- und Solarenergie anpassen.

Für eine bessere Einspeisung Erneuerbarer Energien ins Netz, stellte Peter zudem die Forderung rechtlicher Anpassungen von Netzverknüpfungspunkten voran. Das Gesetz sieht aktuell vor, dass jede ans Netz angeschlossene Anlage zu jedem Zeitpunkt theoretisch 100 Prozent ihrer Leistung einspeisen muss. Praktisch jedoch nutzen Photovoltaikanlagen übers Jahr die Kapazität ihres Netzanschlusspunktes im Durchschnitt nur zu 13 Prozent, Windenergieanlagen zu 33 Prozent. Laut BEE brauche es für eine Überbauung und Mehrfachnutzung von Netzanschlusspunkten nur minimale rechtliche Anpassungen.

Mehr zum Thema

Baustelle eines Umspannwerkes
Netzintegration

Netzanschlusspunkte für EE-Anlagen effizienter nutzen

Fehlende Netzverknüpfungspunkte bremsen die Energiewende. Wenn mehrere EE-Anlagen die Kapazitäten gemeinsam nutzen könnten, wäre viel gewonnen. Eine Studie von BEE und IEE identifiziert die verschenkten Potenziale und zeigt, wie sie zu heben sind.

„Als wir Regierungsverantwortung übernommen haben, wurden 300 Kilometer neue Netze pro Jahr gebaut und genehmigt. Dieses Jahr werden es 1.500 km sein, plus 1.700 km neue Genehmigungen. Vielleicht schaffen wir sogar 2.400 km. Das ist das Resultat von harter Arbeit“, sagte Habeck. Waren es früher Freileitungen, werden heute überwiegend Erdkabel verlegt. Die Unionsfraktion im Bundestag will eine Abkehr davon und nach eigenen Angaben wieder auf günstigere Freileitungen setzen. Zudem soll der Netzausbau kleiner ausfallen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil kritisierte den Antrag. „Einer der größten Fehler, den man derzeit machen könnte.“ Man laufe Gefahr in alte Häuserkämpfe zurückzufallen. In den von der Union berechneten vermeintlichen Einsparungen von 35 Milliarden Euro seien die zu erwartenden erheblichen Verzögerungen von Freileitungsprojekten durch Klagen nicht einberechnet. Erdkabel würden für eine weitaus größere Akzeptanz des Netzausbaus sorgen.

In diesem Zuge dürften die Kosten des Netzausbaus nicht per Netzentgelten auf die Bürgerinnen und Bürger umgelegt werden. Weil plädiert dafür den Netzausbau, wie Sanierung und Bau von Straßen und Schienen zu behandeln – als Teil der Daseinsvorsorge des Staates. „Es braucht einen aktiven Staat“, so Weil und: „Vorsicht vor der Bahnsteigkante.“ Die Energiewende sei insbesondere für finanziell schwächer aufgestellte Menschen im ländlichen Raum eine immense Herausforderung.

Der unsanierte Pendler, so Weil, lebe in einem abbezahlten, aber unsanierten Haus auf dem Land und müsse mit seinem alten Vebrenner-Auto kilometerweit zur Arbeit fahren. Diese Menschen könnten nicht einfach, wie in Städten, den ÖPNV nutzen und werden ans Fernwärmenetz angeschlossen. Einer Studie des sozialen Klimarats zufolge, sind etwa 36 Prozent der Haushalte aufgrund ihrer sozialen Lage nur schwer in der Lage, die für den Klimaschutz nötigen Transformationsprozesse mitzugehen.

„Der Bundeshalt 2025 steht Spitz auf Knopf“, so Weil. Doch für eine Energiewende, die alle mitnimmt, brauche es eine Reform der Schuldenbremse. Sonst bestehe die Gefahr, dass sich Verunsicherung und Zukunftspessimismus weiter ausbreiten. Das spielt am Ende rechten Kräften und ihren Überspitzungen und Falschbehauptungen in die Hände.

Manuel Grisard

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

max 2.000 Zeichen