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Carbon CaptureTechnische Kohlenstoffsenken im Klimaschutz

Anlage für Carbon Capture aus der Atmosphäre in Island
In Island betreibt das Unternehmen Climeworks eine Anlage, die CO2 aus der Atmosphäre abscheidet. (Foto: Climeworks)

Das Verbrennen fossiler Energieträger hat die Menschheit in eine Sackgasse geführt. Die Erde heizt sich auf. Die Nutzung von Technologien, die Kohlendioxid wieder einfangen und möglichst sicher und dauerhaft speichern, ist kein Tabu mehr.

10.05.2024 – Als die EU Anfang Februar 2024 ihre Klimaziele bis 2040 verkündete, erklärte sie auch das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid zum Instrument des europäischen Klimaschutzes. Nur kurze Zeit später, Ende Februar, legte das Bundeswirtschaftsministerium Eckpunkte einer Carbon Management Strategie für Deutschland vor. Im Gegensatz zu Ozeanen, Böden, Wäldern und Mooren, die als natürliche Senken gelten, werden technische Verfahren zur Kohlendioxidentnahme als technische Senken bezeichnet.

Der Einsatz der noch in den Kinderschuhen steckenden Technologien, inklusive Transport und Offshore-Speicherung, soll in Deutschland möglich werden. Ohne die technischen Kohlenstoffsenken könnten die Klimaziele unmöglich erreicht werden, so die Botschaft. Denn in sechs Jahren ist es bereits so weit: Dann wird die Menschheit rechnerisch so viel Kohlendioxid emittiert haben, dass sich die Erderwärmung kaum noch auf 1,5 Grad begrenzen lässt. Trotz der hoffentlich gegen Null gehenden neuen Emissionen wird die Entnahme und Speicherung des Klimagases notwendig. Die bisherige Klimapolitik der Staatengemeinschaft war schlichtweg nicht ausreichend.

Der Ort der Entnahme

Das Thema ist vielschichtig und bringt neue Begrifflichkeiten, die leicht Verwirrung stiften können. Für Deutschland wird in der Strategie vor allem auf CCS gesetzt. Die Abkürzung steht für Carbon Capture and Storage und meint die Abscheidung von Kohlendioxid insbesondere aus Verbrennungsabgasen – direkt am Entstehungsort innerhalb einer Industrieanlage – und dessen Speicherung. Damit verbirgt sich hinter diesem Begriff bereits ein konkreter Weg, mit Kohlendioxidemissionen umzugehen. Eine Anlage wird gerade im Zementwerk in Brevik in Norwegen gebaut.

Das Gas kann aber auch unabhängig von Ort seiner Entstehung aus der Atmosphäre entnommen werden – in diesem Fall spricht man von Direct Air Capture (DAC), wie es das Unternehmen Climeworks in einer Pilotanlage auf Island praktiziert. Anschließend wird das Kohlendioxid mit Wasser vermischt und das Sprudelwasser mehrere hundert Meter tief ins Basaltgestein Islands gepresst, wo es über einen Zeitraum von rund zwei Jahren mineralisiert. Carbon Dioxid Removal (CDR) ist der Oberbegriff, der die beiden Technologien – DAC und Carbon Capture – zusammenfasst.

Speichern oder Verwenden

Außerdem macht es einen Unterschied, wie es mit dem eingefangenen CO2 weitergeht - ob es möglichst dauerhaft gespeichert oder in weiteren chemischen Prozessen verwendet wird. Hier kommt das U für Utilisation oder das S für Storage in die Abkürzungen.

Für Carbon Capture and Utilisation (CCU) gibt es einige Anwendungsfälle, jedoch ist keiner von ihnen klimaneutral, weil das CO2 früher oder später wieder freigesetzt wird. Eine direkte, aber mengenmäßig überschaubare Nutzung von CO2 ist beispielsweise der Einsatz in Feuerlöschanlagen oder als Zusatz in kohlensäurehaltigen Getränken. Die indirekte, rohstoffliche Nutzung umfasst die Synthese von Grundchemikalien oder Produkten der chemischen Industrie und von Endenergieträgern, die im Verkehr, in der Industrie sowie der Wärmeversorgung genutzt werden können.

Wiederverwendung ist ineffizient

Doch CCU ist ein Stromfresser, warnt der WWF. CCU benötigt mit den aktuellen Technologien in Relation zu Vergleichsprozessen etwa diefünffache Strommenge. Fährt ein Auto zum Beispiel mit CCU-Benzin, so ist sein Stromverbrauch circa fünf Mal so groß wie der eines Elektroautos. Verwendet eine Wohnhausheizung CCU-Heizgas, so verbraucht sie circa fünf Mal so viel Strom wie eine Wärmepumpe, berichtet die Naturschutzorganisation.

Wer noch tiefer in den Abkürzungsdschungel eintauchen will, wirft einen Blick auf den Ursprung des Kohlendioxids. Stammt es aus der Atmosphäre, aus fossilen Verbrennungsprozessen, aus biogenen Quellen oder aus Abfällen? Fällt es bei der Verarbeitung von Biomasse oder Müll an, gibt es entsprechende Unterscheidungen: Bio Energy Carbon Capture (BECC) oder Waste Carbon Capture (WACC) – und entsprechend der oben genannten Systematik dann BECCS/WACCS bzw. BECCU/WACCU. Wird es später erneut abgeschieden, hat man theoretisch einen Kohlendioxid-Kreislauf – jedoch keinen hundertprozentigen und zudem einen sehr energie- und flächenintensiven. Denn will man die Kohlenstoffbindung von Pflanzen in klimawirksamer Weise nutzen, würden gigantische Flächen gebraucht. Auch deshalb sind sogenannte Klimaplantagen umstritten. Müll nur dafür zu erzeugen, um ihn energetisch zu nutzen, wäre Unsinn.

Die Anrechnung der erreichten Negativ-Emissionen in den Planszenarien zum Klimaschutz ist ein weiteres Kapitel für sich. Die Sektoren haben eigene Ziele, Industrie und Landsektor sind die beiden großen Handlungsfelder. Werden beim Verbrennen von Biomasse entstehende Kohlendioxidemissionen aufgefangen und gespeichert, zählt das als Negativemission im Landsektor. Allerdings ist der Prozess als technische Senke einzuordnen.

Kosten, Wirksamkeit und Risiken

Eine Tonne CO2 aus der Luft zu entfernen ist teuer und wird voraussichtlich teuer bleiben. Werden Technologien massenhaft angewendet, sinken die Kosten, doch wie steil die fallen werden, ist heute schwer abzuschätzen. Forschende der Eidgenössischen technischen Hochschule Zürich (ETH) haben einen Versuch unternommen und für das Verfahren Direct Air Capture berechnet, dass es im Jahr 2050 zwischen 230 und 540 Dollar kosten könnte, eine Tonne CO2 aus der Luft zu entfernen. Keine der untersuchten Technologien habe einen absehbaren Kostenvorteil, deshalb empfehlen die Forscher, alle Optionen weiterzuverfolgen.

Entlang der Prozesskette entsteht außerdem energetischer Mehraufwand: beim Abscheiden, Verdichten, Transportieren und Speichern sowie für den Bau der dafür notwendigen Infrastruktur. Werden hierfür keine Erneuerbaren Energien eingesetzt, entsteht ein erhöhter CO₂-Ausstoß. Aber selbst wenn ausschließlich Erneuerbare Energien verwendet und unvermeidbare Emissionen eingespeichert werden, wird prozessbedingt keine Treibhausgasneutralität erreicht. Etwa 15 Prozent des CO₂ würden nicht abgeschieden und weiterhin in die Atmosphäre gelangen.

Die Prozesse rund um die Kohlendioxid-Speicherung bergen zudem einige Risiken. Deutschland will zwar kein Kohlendioxid im geologischen Untergrund des Festlandes speichern, was selbst das Umweltbundesamt heikel findet, sondern vor allem unter der Nordsee, Meeresschutzgebiete ausgenommen. Am Meeresboden aber könnte durch Leckagen das CO2 das Wasser versauern und marine Lebensräume schädigen. Viele Tonnen CO2 könnten im Laufe der Zeit aus Bohrlöchern und Rissen im Gestein austreten, die nur schwer oder gar nicht verschließbar sind. „Es droht eine weitere Industrialisierung der Nordsee mit Belastungen durch Pipelines, Anlagen, Schiffsverkehr und Lärm“, warnt der BUND.

CCS für Gaskraftwerke bleibt möglich

Die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgestellte Carbon Management Strategie wird von Umweltverbänden nicht grundsätzlich abgelehnt. Kritisiert wurde sie vor allem, weil das Abscheiden nicht nur den Industrieanwendungen vorbehalten bleibt, in denen Emissionen unvermeidbar sind, sondern auch für Gaskraftwerke möglich wäre. Verständlich, dass sich die Politik diese Hintertür offenhalten will, aber auch eine große Gefahr: fossile Strukturen heizen das Klima weiter an. Petra Franke

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