UmweltschutzEuropäisches Recht wirkt

Europäisches Recht schützt Feuchtgebiete wie den Naturpark Schlaubetal in unmittelbarer Nähe des Braunkohletagebaus Jänschwalde (Foto: © A.Savin, WikiCommons, CC BY-SA 3.0)

Wo Europas Zivilgesellschaft an fossiler Energiepolitik verzweifelt, kommen Anwälte für den Umweltschutz ins Spiel. Für NGOs fechten sie Kämpfe vor Gericht aus, damit nicht noch mehr Natur und Klima zerstört werden.

09.12.2019 – Der Hambacher Wald ist bedroht. Bedroht durch den Energiekonzern RWE, der am liebsten auch den letzten Rest Wald abholzen will, um aus dem angrenzenden Hambacher Tagebau noch mehr Kohle zu fördern. Dagegen demonstrierten vor etwas mehr als einem Jahr 50.000 Menschen. Zwar setzten Bürger und Umweltverbände damit ein wichtiges Zeichen, letztendlich wurde der Rodungsstopp aber vor Gericht erwirkt. Entscheidend dabei: europäisches Recht. Geführt hat dieses Verfahren der Rechtsanwalt Dirk Teßmer, als Vertreter des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Nordrhein-Westfalen. Es sind vor allem die rechtlichen Möglichkeiten von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den „Hambi“ bislang vor seiner vollständigen Zerstörung retten.

Dirk Teßmer: „Grundstein ist im Prinzip die Aarhus Konvention, benannt nach dem dänischen Ort, wo diese Vereinbarung von allen europäischen Mitgliedsstaaten getroffen wurde. Ziel der Verhandlungen war es, ein größeres gesellschaftliches Mitengagement zu befördern. Die interessierte betroffene Öffentlichkeit, zu der auch Umweltvereinigungen zählen, sollten einen größeren Zugang zu Informationen und Verfahren bekommen – vom Mitwirken an Projekten, über Einfluss auf Entscheidungen der Behörden, bis hin zur gerichtlichen Kontrolle.“

Zwar ist die Konvention seit Oktober 2001 in Kraft, doch in Deutschland brauchte es Jahre, bis diese ihre Wirkung entfalten konnte. Erst nach vielen zähen Verfahren auf deutscher und europäischer Ebene kam es 2017 zu einer Gesetzesnovelle und einem einigermaßen wirksamen Zugang für Umweltvereinigungen, gegen Umweltverstöße gerichtlich vorgehen zu können. Auf dieser Grundlage klagen auch Teßmer und der BUND NRW gegen die Fortführung des Hambacher Tagebaus – zum Schutz des angrenzenden Waldes. Dabei berufen sie sich auf die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie – kurz FFH-Richtlinie – der Europäischen Union. Ziel der Richtlinie ist es, wildlebende Arten, deren Heimat, und die europaweite Vernetzung ihrer Lebensräume zu sichern und zu schützen.

Beim Hambacher Wald geht es dabei vor allem um das Vorkommen der seltenen Bechsteinfledermaus, was die Frage aufwirft, ob der Wald als Teil europäischer Schutzgebietsnetze nachgemeldet werden muss. Der BUND NRW glaubt, dass die NRW-Landesregierung die Meldung als FFH-Gebiet unterlassen hat, um die Fortführung des Tagebaus nicht zu gefährden. Die Komplexität der Sachlage veranlasste die Richter dazu, den vorläufigen Rodungsstopp zu veranlassen. Auch weil RWE und die zuständige Behörde in Arnsberg nicht nachweisen konnten, dass eine sofortige Rodung im Interesse des Gemeinwohls nötig ist, weil andernfalls die Energieversorgung gefährdet sei.

Der schützenswerte Status des Hambacher Wald bleibt weiterhin unklar – ganz anders als in der Lausitz. Verlierer dabei: der tschechische Bergbaubetreiber LEAG und der Tagebau Jänschwalde. Vom ersten September an musste die LEAG den Tagebau in sogenannte Sicherheitsbereitschaft überführen. Faktisch darf dort keine Kohle mehr abgebaggert werden – dank europäischen Rechts. In diesem Fall klagte Dirk Teßmer als rechtlicher Vertreter von Deutscher Umwelthilfe und Grüne Liga. Tagebaubedingte Grundwasserabsenkungen gefährden mehrere Feuchtgebiete in der Umgebung, die bereits unter die FFH-Richtlinie fallen. Beim Braunkohleabbau ist eine Grundwasserabsenkung rund um die Tagebaue notwendig, da diese sonst mit Wasser volllaufen. Dafür installieren die Betreiber rund um die Tagebaue Entwässerungsbrunnen. Doch das fehlende Grundwasser hat auch gravierende Auswirkungen auf geschützte Moore, Teiche und Seen.

In Jänschwalde versäumte es die LEAG jahrelang, Schutzmaßnahmen für die Feuchtgebiete einzurichten. Trotz fehlender Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfung wurde der aktuelle Betriebsplan Anfang 2019 vom zuständigen Landesbergamt genehmigt, wogegen Teßmer und die Umweltverbände klagten. Mit Erfolg: Da die LEAG auch nach mehreren Monaten des Rechtsstreits keine hinreichende FFH-Verträglichkeitsprüfung vorlegen konnte, darf der Tagebau seit dem ersten September nicht mehr weitergeführt werden. Naturschutzrecht erweist dem Klimaschutz hier einen großen Dienst. Auch weitere Tagebaugenehmigungen wollen Teßmer und die Umweltverbände genau und kritisch prüfen.

Denn nach der Kampagne ist vor der Kampagne, wie Hermann Ott erklärt. Ott, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, leitet das Berliner Büro der international tätigen Umweltrechtsorganisation ClientEarth – Anwälte der Erde. In Deutschland unterstützt ClientEarth vor allem die Klagen der Deutschen Umwelthilfe für saubere Luft in deutschen Großstädten. Auch hier geht es um die Einhaltung europäischer Umwelt- und Gesundheitsrichtlinien in Bezug auf Stickoxide. Wie sich das Autoland Deutschland lange der Einhaltung europäischer Richtlinien verweigert hat und zum Teil noch immer verweigert, stößt bei Ott auf großes Unverständnis.

Hermann Ott: „Wenn der Eindruck entsteht, dass „die da oben“ machen können was sie wollen, dann ist das dem Demokratieverständnis nicht gerade förderlich. Und deswegen betrachte ich das, was wir machen, als Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Weil wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat erhalten.“

Dabei pocht ClientEarth nicht nur auf die Einhaltung von Recht, sondern versucht auch auf Gesetzgebungsprozesse einzuwirken. So stellte die Umweltrechtsorganisation im Mai in Berlin gemeinsam mit Greenpeace ein „Kohleausstiegsgesetz“ vor – ein Entwurf, der einen möglichen Kohleausstiegsfahrplan zeichnet und dafür gesetzliche Grundlagen liefert. Und nicht nur in Deutschland, auch in ganz Europa kämpft ClientEarth gegen die Kohlewirtschaft. in Brüssel wird gerade an einem Vorschlag zur Revision der Industrieemissionsrichtlinie gearbeitet, wie Maria Kleis aus dem Brüsseler Büro der Umweltrechtsorganisation erzählt. Die Richtlinie regelt in der ganzen EU den Betrieb von Industrieanlagen, wie zum Beispiel Kohlekraftwerke. Dabei wird vor allem die Einhaltung immer schärferer Grenzwerte überwacht.

Maria Kleis: „Die Richtlinie wird zurzeit überarbeitet. Dazu gibt es eine öffentliche Konsultation. Die Kommission fragt dafür Stakeholder wie uns. Und wir versuchen, die darin enthaltenen Gesetze so zu formulieren, dass sie leichter umzusetzen sind, und dass sie möglichst strenge Grenzwerte für Emissionen setzen. Die Unterstützung von Regierungen und EU-Kommission bei der Gesetzgebung ist eine unserer zentralen Aufgaben.“  

Bei der Frage, wie strikt die Grenzwerte für Mensch und Natur sein müssten, arbeitet Client-Earth wiederum mit wissenschaftlichen Experten zusammen, während die eigene Expertise den Rechtstexten gilt. Ziel sei es, trotz unterschiedlicher Rechtssysteme in der Europäischen Union, Gesetze zu schaffen, die klar formuliert sind und möglichst wenig Raum für Interpretationen bieten. Bei Rechtsverstößen der Industrie sollten Bürger möglichst einfach gerichtlich dagegen vorgehen können. Für die Bürger versucht ClientEarth auch die Rolle von Energy Communities zu stärken – in Deutschland bekannt als Bürgerenergieprojekte oder Energiegenossenschaften. So trug die Umweltrechtsorganisation dazu bei, die administrativen Hürden und Kosten für Energiegenossenschaften auf europäischer Ebene zu senken.

Während in Deutschland Energiegenossenschaften aufgrund dezentraler Strukturen schon einigermaßen gut funktionieren, erweist sich das französische System noch als hinderlich, wie Kleis darlegt. Exemplarisch erzählt sie die Geschichte einer Insel in der Bretagne, die eigentlich eine Energiegenossenschaft werden will. Doch zentralisierte Strukturen und eine fehlende Liberalisierung des Marktes behindern dies. Nach europäischem Recht dürfte aber einer Energiegenossenschaft auf der bretonischen Insel nichts entgegenstehen. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung bleibt offen. Egal ob in Frankreich, Deutschland oder anderswo in Europa – wichtig sei im Endeffekt der gesellschaftliche Druck, wie Hermann Ott deutlich macht.

Hermann Ott: „Recht existiert ja nicht im luftleeren Raum, sondern im gesellschaftlichen. Und je stärker gesellschaftlich der Klimawandel – die Klimakrise – als Problem angesehen wird und Lösungen gefordert werden, umso eher wird sich auch auf der juristischen Ebene etwas tun.“

Es helfe nicht, sich zurückzulehnen und zu sagen, die Juristen werden das schon machen, fügt Ott hinzu, sondern es hänge davon ab, wie die Zivilgesellschaft Umwelt- und Klimaschutz einfordert. So könnte auch der gesellschaftliche Druck dazu beitragen, dass der bestehende Teil des Hambacher Waldes nicht mehr gerodet wird. Umweltverbände und -initiativen setzten bereits im Abschlussbericht der Kohlekommission durch, dass der Hambacher Wald erhalten bleiben soll. Der Kommissionsbericht, hinter dem ein breites Spektrum aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft steht, hat der Politik Vorschläge für den Kohleausstieg unterbreitet. Diese muss die Politik nun zu Gesetzen formen, auf die sich die Justiz berufen kann. Manuel Först

Dieser Text ist auch in der neuen Print-Ausgabe der energiezukunft erschienen, Seite 29-31.