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Bild: Tipping Points

Meinung 21.06.2024

Demokratie braucht ein „Dafür“

Die Europawahl hat gezeigt: Statt populistischer Diffamierung von Klimaschutzmaßnahmen braucht es eine Politik, die Veränderung als gewolltes und begeisterndes Zukunftsprojekt formuliert. Denn die Klimakrise wartet nicht. Ein Aufruf an die demokratischen Parteien Europas.

Michael Adler, Autor und Kommunikationsexperte


Meinung 21.06.2024

Demokratie braucht ein „Dafür“

Die Europawahl hat gezeigt: Statt populistischer Diffamierung von Klimaschutzmaßnahmen braucht es eine Politik, die Veränderung als gewolltes und begeisterndes Zukunftsprojekt formuliert. Denn die Klimakrise wartet nicht. Ein Aufruf an die demokratischen Parteien Europas.

Bild: Tipping Points

Michael Adler, Autor und Kommunikationsexperte



Wir reden unser Land und Europa in Grund und Boden und wundern uns dann, wenn rechtsextreme Parteien mit einfachen Parolen dazugewinnen. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind aber komplex. Deshalb werden einfache Scheinlösungen nicht helfen, sie zu bestehen. Hinzu kommt, die Probleme, die wir aktuell haben, sind zu einem großen Teil aus der Art, wie wir leben, entstanden. Deshalb werden wir unsere Art zu leben ändern müssen.

Wir brauchen also einen Diskurs, der Veränderung umarmt. Eine Politik, die Veränderung konsequent und konstruktiv anschiebt. Wir brauchen nicht nur ein lauthals vorgetragenes „Wogegen“, sondern ein „Wofür“. Nur, wenn es gelingt, ein überzeugendes Zukunftsprojekt zu formulieren, können wir rückwärtsgewandte und demokratiefeindliche Umtriebe wieder in die Nische zurückdrängen, wo sie hergekommen sind.

Wir brauchen definitiv kein Weiter-So des 20. Jahrhunderts

Und wir brauchen für globale Herausforderungen schon gar keinen Rückfall in einen ausgrenzenden, rassistischen, sexistischen und wissensfeindlichen Nationalismus. Vom amerikanischen Psychotherapeuten Steve de Shazer stammt das Zitat: Das Reden über Probleme schafft Probleme. Das Reden über Lösungen schafft Lösungen.

Wer behauptet, Migration sei unser Hauptproblem, verwechselt Ursache und Wirkung. Der Bürgerkrieg in Syrien ist zumindest durch die mehrjährige Dürre im Norden des Landes mitverursacht. Es wird weitere Massenmigration aufgrund klimatischer Veränderung geben. Das kann man kommen sehen.

Und wer im Hochwasser steht und behauptet, das habe man nicht kommen sehen können, der ist entweder intellektuell seiner Aufgabe als Ministerpräsident nicht gewachsen oder, was fast noch schlimmer ist, er belügt die Bürger:innen bewusst gegen alle Erkenntnisse der Wissenschaft. Erst wird jeder Schritt, der die Erderhitzung mildern könnte, als grüne Verbotspolitik diffamiert, und dann weint man Krokodilstränen, wenn die vorausgesagten Folgen wie Extremregenfälle eintreten.

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Erst redet man Mitbürger:innen mit Migrationshintergrund schlecht und kriminell und dann weint man Krokodilstränen, wenn Menschen mit anderer Hautfarbe angegriffen werden, oder die rechtsextreme Partei, die alle Menschen mit Migrationshintergrund „remigrieren“ will, Zugewinne einfährt.

Erst „rettet“ man Landwirt:innen vor einer kleinen Reduktion der Subventionen auf Agrardiesel, dann weint man Krokodilstränen, wenn das Ackerland überschwemmt wird oder in der Hitze des Sommers vertrocknet.

Das hat man alles nicht kommen sehen, und der Hauptfeind sind diejenigen, die Gegenmaßnahmen gegen die Klimaerhitzung zumindest mal beginnen wollen. Wir sollten mehr darauf achten, was wir säen. Und wir sollten sehr genau überlegen, wie wir über den Wandel, den wir brauchen werden, sprechen. 

„Der Klimaschutz ist abgewählt.“ Oder noch krasser: „Das grüne Projekt Klimaschutz ist abgewählt.“

So oder so ähnlich haben manche Kommentator:innen oder Politikjournalist:innen den Ausgang der Europawahl beschrieben. Das ist intellektuell zu kurz gesprungen, politisch simpel gedacht und unverantwortlicher Journalismus. Diese lapidare Einordnung einer sich verstärkenden globalen Katastrophe erinnert mich an die beiden Moderator:innen im Hollywood Film „Don’t look up“.

Warum sehe ich das so?

Nun, weil man die Erderhitzung nicht „remigrieren“ oder abwählen kann. Oder wie der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch sagt: „Mit der Physik kann man nicht verhandeln.“ Und, weil wir, frei nach Kant, vernünftig handeln sollten, also es wagen sollten, uns unseres Verstandes zu bedienen. Wer diese geistige Anstrengung auf sich nimmt, erkennt, dass es sich beim Begrenzen der Klimaerhitzung nicht um ein Projekt unter vielen handelt, das man noch dazu einer Partei zuschreiben könnte.

Der koordinierte, konstruktive Kampf gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen von uns Menschen durch uns Menschen, ist der kategorische Imperativ unserer Zeit. Klimaschutz ist Menschenschutz oder noch besser Klimaschutz ist Lebensschutz, Erdschutz, Enkelschutz. You name it.

Warum verstehen die Menschen das nicht? Warum nehmen sie buchstäblich die Rettung als Bedrohung wahr?

Kurz gesagt: das „Framing“ des Klima-Diskurses passt nicht. Noch verstärkt im Vergleich zur letzten Bundestagswahl wurde das Narrativ von der Zumutung, dem Ruin von Wirtschaft und Wohlstand. Das betreiben weite Teile der Union, die AFD sowieso, und der konservativen Medien, aber leider auch Talkshows und Journalist:innen der Qualitätsmedien. Weil das Interesse am politischen Scharmützel, das Interesse am größeren Kontext, an der Frage „Wofür?“ das Ganze, dominiert.

Negative Narrative gegen die nachhaltige Transformation werden auf „Die Grünen“ als der politische Hauptfeind (Friedrich Merz) projiziert. Das ist billige politische Profilierung für ein paar Prozentpunkte mehr und es ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Den ersten Höhepunkt der Diffamierung der Grünen bildete die Kampagne gegen das Gebäude-Energie-Gesetz (GEG). Hier sind dann Begriffe wie „Ideologie“, oder „vom normalen Volk entrückt“ und „mit der Brechstange“ im Spiel.

 Ergänzt wird diese Hetze gegen Veränderung durch „human touch“ Horrorstories. Wie Markus Söders Oma, die Habecks Heizungsgesetz angeblich 300.000 Euro kosten würde. Weitere Elemente der Transformationsdiffamierung sind der „Verbrenner-Aus-Stopp“ und der Begriff der „Technologieoffenheit“ der FDP. Hier wird Lobbyarbeit für das fossile Weiter-So als Offenheit umgedeutet. Das gleiche kommunikative Muster greift bei der Scheindebatte Atomkraft gegen Erneuerbare Energien.

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Das braune Gift, das die AFD in die politische Debatte einschleust, setzt auf Angst. Angst, die bewusst geschürt wird, um sich selbst als Retter in der Not aufspielen zu können. Angst verengt die Wahrnehmungsfähigkeit. Angst lässt keinen Platz für Komplexität. Deshalb glauben Menschen in Angst oft einfachen Lösungsversprechen. Die dreiste Behauptung mit simplen, auf „alternativen Fakten“ aufbauenden Scheinlösungen, nur den „Volkswillen“ umsetzen zu wollen, verfängt leider auch in der politischen Mitte. Die Rechtsextremen betreiben außerdem einen typischen und sehr gefährlichen Anti-Intellektualismus. Die da oben verstünden das gemeine Volk nicht. Hier die abgehobenen Eliten, da das gesunde Volksempfinden. Don’t listen to the science. Don’t look up.  

Ein anderes Spaltungsthema ist das zwischen Stadt und Land. Hier liegt Hubert Aiwangers Domäne: Bierzelt als Hort der Demokratie und die Stadt als Ort der geistig-moralischen Verirrung. Und Ministerpräsident Söder distanziert sich nicht von Aiwanger, auch nicht angesichts sehr fadenscheinig ausgeräumter fürchterlicher antisemitischer Entgleisungen seines Koalitionspartners in dessen Jugend.  Das kann Söder ja auch nicht, weil er sich festgelegt hat: Die Grünen sind der Feind, deshalb muss mit dem Genderwahn aufgeräumt werden und in bayerischen Amtsstuben das Kruzifix hängen.

Robert Habeck brachte es vor wenigen Monaten auf den Punkt: Faschismus muss den Status Quo schlecht reden. Er bezieht seine Energie aus der Destruktion. Wenn das Land, unser Land, buchstäblich vor dem Untergang steht, dann helfen nur noch radikale Schritte.

Wir müssen uns als mündige Bürger:innen und als verantwortliche Politiker:innen entscheiden: Wollen wir einen „change by design“ oder einen „Change by desaster“?

Ich plädiere eindeutig für „Change by design“. Wir brauchen eine andere Story. Eine Story, die von gestaltender Veränderung und gelingenden Zukünften handelt. Eine Gewinnerstory. Und wir brauchen demokratische Parteien der Mitte, die diese Story vertreten. Über den jeweils besseren Weg der notwendigen Transformation kann man dann gerne streiten, aber bitte nicht über das im Grundsatz wissenschaftlich belegte Ziel.

Wir brauchen Kooperation statt Spaltung. Das geht an die Adresse der Union.

Und wir brauchen Haltung statt Beliebigkeit, das geht an Olaf Scholz. 

In meinem Buch „Klimaschutz ist Menschenschutz“ habe ich diese „desirable futures“ beschrieben. Machen wir die nachhaltige Transformation konkret:

Wir bauen eine Stadt oder ein Dorf für Menschen. Wir reduzieren Tempo, Lärm, Schadstoffe, CO2 und damit auch Lebensgefahr für Menschen. Wir setzen in der Nähe auf Fuß- und Fahrradmobilität. Deshalb bauen wir unsere Straßen zugunsten der aktiven Mobilität um. Mit Radschnellwegen verbinden wir Umland und Städte und Dörfer untereinander. Das Pedelec erhöht die Reichweiten auf 15-25 Kilometer. So lässt sich die Fahrradnutzung verdreifachen. Wir investieren in unser ÖV-Netz und bauen flächendeckend Mobilstationen, wo Fahrrad, Auto und Bus und Bahn optimal verknüpft werden.

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Der Autoverkehr wird auf ein Minimum reduziert und elektrifiziert. Tankstellen werden zu Ladestellen. Der Strom kommt aus Erneuerbaren Energien „made in Germany“.  Das dient nicht nur dem Begrenzen der Klimaerhitzung, das schafft Räume für ältere Menschen, sich zu begegnen, das schafft Sicherheit für Kinder auf ihren alltäglichen Wegen, das schafft Raum für grünere Städte und Dörfer, mit mehr Bäumen und Kühlung in heißen Sommern. Man nennt das in Wissenschaftskreisen „Klimaresilienz“, und die nützt allen.

Wir bauen eine Landwirtschaft, die ihre Grundlage, einen lebendigen, fruchtbaren Boden, erhält, und sich gegen Extremwetterlagen wappnet. Der größte Gegner des Landwirts ist nicht mehr der Nachbar-Landwirt, der noch ein paar Hektar mehr hat. Der Nachbar wird wieder zum Partner. Wir organisieren und fördern Kooperation unter kleineren Betrieben, wir fördern nachhaltige, biologische Anbaumethoden und vermehren so auch die CO2 Speicherkapazität der Böden. Moore werden mit staatlicher Förderung wieder vernässt.

Erzeugergenossenschaften verbinden sich mit Konsumgenossenschaften. Wir bilden bewusst regionale Märkte, die den Bezug zwischen Bauern und Konsumenten verbessern. Massenproduktion unter großem Maschineneinsatz und großer Mengen Düngemittel und Pestiziden und Herbiziden wird nicht mehr gefördert. Wirtschaftsministerium und Landwirtschaftsministerium legen einen milliardenschweren Förderfonds für Agri-Photovoltaik auf. Vier Prozent der Agrarfläche in Deutschland würde ausreichen, um ganz Deutschland mit Solarstrom zu versorgen. Damit werden Bauern zu Energiewirten und produzieren im wahren Sinne des Wortes „Lebensmittel“.

Wir bauen das „Nahwärme-Deutschland“. 98 Prozent der Kopenhagener:innen beziehen Wärme aus Nah- und Fernwärmenetzen. Nach dänischem Vorbild, das inzwischen in einigen baden-württembergischen Städten schon kopiert wird, bauen wir eine kommunale Wärmeversorgung auf. Wir bauen Nahwärmekraftwerke, die Energie aus Sonne, Wind, Flusswasser, Luft und Erdwärme gewinnen.

Organisiert wird diese Transformation über Stadtwerke und Bürger-Energie-Genossenschaften. Ob unsere Häuser und Wohnungen im Winter warm werden, bestimmen nicht mehr Putin, Scheichs aus Katar oder Frackinggas-Konzerne in USA, sondern unsere lokalen Energieversorger, oder im besten Falle wir selbst. In Dänemark liegen im Jahr 2021 gut 85 Prozent der Wärmeenergieproduktion in Bürger:innen-Hand.

Um all das zu finanzieren, brauchen wir einen aktiven Staat. Einen Staat, der für die richtigen Rahmenbedingungen investiert. Von der Machart kann der „Anti-Inflation-Act“ der USA als Vorbild dienen.

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Für neoliberale Protagonisten wie Finanzminister Christian Lindner oder CDU-Chef Merz mag so viel Staat Teufelszeug sein. Allein der Markt wird es aber nicht richten. Der Markt bedient sich immer an dem Tisch, der gedeckt ist. Der Markt braucht in einem „Change by design“ Szenario einen steuernden Staat wie Mariana Mazzucato ihn beschreibt. Dieser Staat wird damit kein Unternehmer, aber er definiert die Leitplanken für verantwortliches Unternehmertum.

Der handelnde Staat löst Investitionen aus, fördert Innovationen, unterstützt den Zusammenhalt in der Gesellschaft, stärkt lokale Wirtschaftskreisläufe und schafft so Arbeitsplätze und neuen Wohlstand .

Ein so handelnder Staat würde weitere zielorientierte Handlungen in Wirtschaft und Gesellschaft auslösen und so in immer mehr Bereichen ein „Wofür“ definieren. Ein „Wofür“, das das gute Gefühl schafft, an einer guten Zukunft zu arbeiten, an einer guten Vision von einem „zukunftsfähigen Deutschland“.

Und das wäre eine Vision, die Stück für Stück den Rechtsextremen die Legitimation für ihre „Desaster“ Erzählung nimmt.

Michael Adler arbeitet als Journalist und Kommunikationsexperte seit drei Jahrzehnten an der Nachhaltigkeitswende und gründete vor zehn jahren die Agentur tippingpoints. In seinem Buch Klimaschutz ist Menschenschutz – Warum wir über die Klimakrise anders sprechen müssen entwirft er eine positive, motivierende Klimasprache. Statt von Verzicht und Kosten zu reden, erzählt er lebensfrohe Geschichten von »desirable futures«: von lebenswerten, grünen Städten, von einer Landwirtschaft, die Tiere, Pflanzen und Boden achtet, und von natürlichen Energien.

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