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RechtsgutachtenVerstößt die Straßenverkehrsordnung gegen das Grundgesetz?

Straße mit Altbauten. Auf der Straße steht "Fahrradstraße"
Fahrradstraße in Berlin Prenzlauer Berg: angeordnet und umgesetzt vom zuständigen Bezirk Pankow (Bild: Berlinschneid - Own work, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Die geltende Straßenverkehrsordnung verstößt gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht und sei damit verfassungswidrig, so das Ergebnis eines neuen Rechtsgutachtens. Eine Novelle der StVO lässt weiter auf sich warten.

29.05.2024 – Im November 2023 schien es, als sie die Novelle der geltenden Straßenverkehrsordnung nur noch Formsache. Nachdem der Bundestag die Novelle beschlossen hatte, musste der Bundesrat noch zustimmen. Doch überraschend zeichnete sich keine Mehrheit für eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ab. Daraufhin setzte der Bundesrat eine Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) wieder von der Tagesordnung ab. Die StVG ist die Grundlage allen Rechts, den Verkehr in Deutschland betreffend. Die StVO, die die Regeln sämtlicher Teilnehmer:innen am Verkehr festlegt, baut auf dem StVG auf.

Einige unionsgeführte Landesregierungen wie Bayern, hatten sich überraschenderweise von der Reform wieder abgewendet. Wie der Spiegel berichtete, war die Begründung, das Ziel der Sicherheit des Straßenverkehrs dürfe nicht aufgeweicht werden, weil andere Ziele wie Klimaschutz hinzukommen. die Novelle sah vor, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden.

Nach der fehlenden Mehrheit gilt bis heute, dass Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs jederzeit Vorrang haben müssen. Die Leichtigkeit bezieht sich vorrangig auf einen flüssigen motorisierten Individualverkehr. Neue Radverkehrsinfrastrukturen oder Fußgängerzonen können oftmals nur angelegt werden, wenn eine deutliche Gefahrenlage durch Autos nachgewiesen wurde, etwa wenn es häufige Unfälle gab. Mit der Novelle der StVO dagegen hätten Tempo-30 Zonen, Bus- und Fahrradspuren, sowie Zebrastreifen und Bewohnerparken leichter von den Kommunen angeordnet werden können.

Gemeinden wissen am besten was für ihre Gemeinde gut ist

Einem neuen Rechtsgutachten der renommierten Anwaltskanzlei Geulen und Klinger zufolge verstoße die geltende StVO jedoch gegen das im Grundgesetz verankerte kommunale Selbstverwaltungsrecht und ist damit verfassungswidrig. Laut den Verfassern des Rechtsgutachtens Remo Klinger und Lukas Rhiel, haben Gemeinden nach dem Grundgesetz das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.

Dazu gehöre auch „die Gestaltung der örtlichen Straßenverkehrsverhältnisse, die das alltägliche Leben in einer örtlichen Gemeinschaft so unmittelbar und ortsbezogen prägen wie kaum ein anderer Lebens- und Regelungsbereich. Bei der Gestaltung der örtlichen Straßenverkehrsverhältnisse darf die Gemeinde auch Gesichtspunkte des Klimaschutzes berücksichtigen“, so die Anwälte.

Nur wenn Gründe des Gemeininteresses unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugrunde liegen, dürfte der Gesetzgeber den Kommunen die Eigenverantwortung entziehen. Dies sei jedoch bei Anordnung und Umsetzung städtebaulicher Verkehrskonzepte nicht der Fall. Schließlich wissen Kommunen am besten, was im Gemeininteresse ihrer Bewohner:innen ist. Auch Klimaschutz und Sicherheit der Verkehrsteilnehmer:innen – gerade der schwächeren Fußgänger:innen und Radfahrer:innen – sind verhältnismäßig und im Gemeininteresse.

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In Auftrag gegeben hat das Rechtsgutachten die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Deren Geschäftsführer Jürgen Resch sagt: „Dieses Rechtsgutachten ist bahnbrechend, denn es zeigt: Kommunen könnten schon heute mehr für die Verkehrswende und für Saubere Luft tun. Mehr Tempo 30, Radwege und Busspuren – all das wäre schon mit der geltenden Straßenverkehrsordnung möglich.“ Denn die aktuelle restriktive Auslegung der Straßenverkehrsordnung durch Straßenverkehrsbehörden und die momentane Rechtsprechung sei eindeutig verfassungswidrig und müsse schnellstmöglich korrigiert werden.

Die DUH konstatiert zudem, dass der Nachweis einer sogenannten qualifizierten Gefahrenlage für die Umsetzung verkehrlicher Maßnahmen bei verfassungskonformer Auslegung der StVO künftig nicht mehr erforderlich wäre, sofern ein entsprechendes kommunales Verkehrskonzept vorliegt. Bei der überfälligen Novelle der StVO fordert die DUH die Streichung des Nachweises. mg

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