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Foto: Finanzwende

Nachgefragt 29.05.2024

„Der Gesichtspunkt Klima ist entscheidend für die Stabilität des Finanzsystems“

Banken investieren mehr in nachhaltige Produkte. Aber das heißt nicht, dass das ganze System nachhaltiger geworden ist. Noch immer werden Milliarden in Fossile investiert. Ein Gespräch mit Magdalena Senn von Finanzwende zur Klimaanpassung im Finanzsystem.

Magdalena Senn, Referentin für nachhaltige Finanzmärkte bei der Bürgerbewegung Finanzwende


Nachgefragt 29.05.2024

„Der Gesichtspunkt Klima ist entscheidend für die Stabilität des Finanzsystems“

Banken investieren mehr in nachhaltige Produkte. Aber das heißt nicht, dass das ganze System nachhaltiger geworden ist. Noch immer werden Milliarden in Fossile investiert. Ein Gespräch mit Magdalena Senn von Finanzwende zur Klimaanpassung im Finanzsystem.

Foto: Finanzwende

Magdalena Senn, Referentin für nachhaltige Finanzmärkte bei der Bürgerbewegung Finanzwende



Frau Senn, wird das Finanzsystem nachhaltiger?

Ja und nein, muss ich leider sagen. Es hat sich viel getan auf der grünen Seite. Es gibt zwar zunehmend echt nachhaltige Produkte und auch viele Regeln für Nachhaltigkeit am Finanzmarkt. Aber das heißt nicht, dass das ganze System nachhaltiger geworden ist. Es gibt den grünen Bereich, aber Banken und Versicherer finanzieren immer noch zu viele fossile Investitionen, selbst Ölkonzerne, die sogar noch expandieren. All das findet gleichzeitig statt. Wir haben mehr „Grün“, aber eben auch immer noch zu viel „Braun“ im Finanzsystem.

Entzieht sich der Finanzsektor der Regulierung?

Grundsätzlich tut er das gern, zum Beispiel beim europäischen Lieferkettengesetz. Aber auch wenn es dem Finanzsektor immer wieder gelungen ist, Ausnahmen zu erzielen, hat es viele neue Regeln seit der Finanzkrise gegeben. Der Finanzsektor hat eine starke und gut finanzierte Lobby, die sich in Brüssel und in Berlin dafür einsetzt, dass die Regeln zugunsten der Finanzakteure abgeschwächt werden. Der Finanzsektor ist der Wirtschaftsbereich mit dem größten Lobby-Budget – und das zeigt sich eben auch in den Ergebnissen.

Was ist besser geworden?

Es hat sich schon einiges bewegt, zum Beispiel mit der grünen Taxonomie, der Offenlegungsverordnung der EU. Derzeit wird das Thema Transitionspläne verhandelt. Da geht es darum, dass wir Unternehmen haben, die bis 2050 oder 2045 ihre kompletten Portfolios klimaneutral machen müssen. Die Frage ist, wie der Weg dahin aussieht und welche Maßnahmen jetzt ergriffen werden, um später das Ziel zu erreichen.

Ich halte das für vielversprechend, weil wir bisher viele freiwillige Selbstverpflichtungen haben. Das macht es oft schwer zu sagen, ob das, was die Bank tut, dem langfristigen Ziel entspricht. Klare Anforderungen, mit denen die Finanzaufsicht arbeiten kann, schaffen Transparenz darüber, ob sich Finanzinstitute auf einem Anpassungsweg befinden. Denn dann ist ersichtlich, ob ein fossiler Kredit jetzt noch vergeben werden darf, wenn beispielsweise das Portfolio der Bank bis zum Jahr 2030 zu 50 Prozent dekarbonisiert sein soll. Das Instrument hat das Potenzial, das System insgesamt auf den richtigen Weg zu bringen.

In Amerika gibt es viel Widerstand gegen grüne Investitionen. Kommt schon der Backlash?

Ich halte das vor allem für einen Kulturkampf, bei dem viel Ideologie mitmischt. Am Finanzmarkt ändert das nicht sonderlich viel. ESG heißt ja, dass Vermögensverwalter oder Banken Risiken im Bereich ökologischer, sozialer und guter Unternehmensführung berücksichtigen. Das ist ohnehin die Aufgabe von Finanzunternehmen, Risiken zu bewerten. Die Tatsache, dass es auch im Umweltbereich Risiken gibt, ist ganz normal, und einfach ein Teil der Arbeit der Finanzinstitute.

Banken zu verbieten, sich um Umwelt- und Sozialthemen zu kümmern, ist keine gute Idee – weil diese Risiken real sind und im Zweifel, wenn sie sich materialisieren, auch für alle Involvierten zum Problem werden können. Der Backlash findet vor allem in den USA statt. Hier wird die Debatte nicht so erhitzt geführt, ich sehe das in Europa nicht als großes Risiko.

Ist die Berücksichtigung von Klimafolgen Teil der Klimaanpassung für das Finanzsystem?

Ja, unbedingt, nicht nur im Bereich der ESG-Kriterien, also dem Ansatz der Finanzinstitute, sondern auch bei der Finanzaufsicht, die sich anschaut, wie stabil eine Bank ist. Dabei ist relevant, welche Klimaszenarien es gibt, in denen Vermögenswerte an Wert verlieren oder zerstört werden. Der Gesichtspunkt Klima ist auch entscheidend für die Stabilität des Finanzsystems.

Es gibt inzwischen Anforderungen und dabei ist klar festgelegt, dass Klimarisiken erfasst und gemanagt werden müssen. Seit diesem Sommer gibt es dafür konkrete Vorgaben. Entsprechend dem Regelwerk der BaFin müssen Banken Klimarisiken erfassen und bewerten. Die Bank hat einen Spielraum darin, wie sie es in die Praxis umsetzt, aber sie kann nicht einfach sagen: Das interessiert mich nicht, das mache ich nicht. Wenn Klimarisiken richtig erfasst und gemanagt werden, muss die Bank den Klimaschaden als Risiko einbeziehen. Das sollte klimafreundliche Investitionen für die Bank attraktiver machen. Dasselbe gilt für das Risiko Biodiversitätsverlust. Leider stecken die Vorgaben hier noch in den Kinderschuhen.

Also werden Klimarisiken mehr integriert?

In der Realität ist entscheidend, welche Vorgaben von der Finanzaufsicht geprüft werden. Auf der europäischen Ebene ist die Aufsicht schon sehr hinterher und schickt Briefe an Banken, die den Anforderungen noch nicht genügen. Die müssen im Zweifel sogar täglich Strafen zahlen, wenn sie den Forderungen der Aufsicht nicht nachkommen.

Dagegen sind wir bei den kleineren Banken, die in Deutschland beaufsichtigt werden, noch gar nicht so weit. Die Aufsicht sieht das Klima noch nicht als Schwerpunkt und will erst mehr Erkenntnisse über die Risiken, bevor sie handelt. Daran sehen wir, dass noch mehr passieren muss – damit die bestehenden Risiken, die durch die fortschreitende Klimakrise nicht mehr verschwinden werden, auch im Finanzsystem ordentlich erfasst und gemanagt werden.

In Deutschland haben gerade kleinere Energiewendeakteure wie Stadtwerke noch immer Probleme, Kredite für die Umstellung auf Erneuerbare Energien zu bekommen ...

Das ist ein vielschichtiges Problem. Einerseits haben wir einen Mangel an öffentlichen Investitionen wegen einer problematischen Schuldenbremse. Andererseits müssen, wenn öffentliche Investitionen verfügbar sind, auf verschiedenen Ebenen Kredite aufgenommen werden – auf kommunaler Ebene, aber auch von Unternehmen.

Man muss immer rechnen, ob sich eine Investition lohnt und selbst trägt. Wenn wir aber noch nicht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben, in denen sich Klimaschutz lohnt – etwa durch einen ausreichend hohen CO2-Preis – dann sagen Finanzmarktakteure „das rechnet sich heute noch nicht“, obwohl es eigentlich schon dringend notwendig wäre. Die Politik sollte Rahmenbedingungen etablieren, mit denen sich klimafreundliche Investitionen rechnen. Vielfach spekulieren Banken derzeit noch darauf, dass das Pariser Klimaabkommen nicht eingehalten wird. Das muss aufhören, es braucht eine andere Glaubwürdigkeit.

Bei Erneuerbaren Energien handelt es sich zudem häufig um Investitionen in Technologien, die fälschlicherweise als generell riskant eingeschätzt werden, weil weniger Vergleichsdaten vorliegen. Das ist ein großes Problem, dass wir überwinden müssen. Denn alte, fossile Technologien sind natürlich nicht grundsätzlich risikoärmer als neue, klimafreundliche. Vielmehr ist es so, dass beispielsweise fossiles Gas irgendwann nicht mehr verwendet werden darf, Investitionen in diesem Bereich sich möglicherweise nicht mehr rechnen und damit ein Risiko darstellen.

Leider nutzen noch nicht alle Finanzinstitute Klimarisiken als Faktor in der Kreditvergabe beziehungsweise der Preisgestaltung. Noch nicht alle bewerten also bei jeder Investition, ob sie klimafreundlich oder -schädlich ist und was das angesichts des nachhaltigen Umbaus der Wirtschaft bedeutet. Wenn Finanzinstitutionen dies flächendeckend machen, wirkt es sich auch positiv auf die Finanzierungsbedingungen sauberer Technologien aus.

Das Gespräch führte Julia Broich.

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